Übrigens …

Die Turing-Maschine im Münster, Wolfgang-Borchert-Theater

Lebensbilder eines schwulen Nerds

Er ist eben doch nicht Schneewittchen, eher einer der sieben Zwerge, am Ende bloß ein schwuler Nerd mit einigen Pfunden zuviel auf den Rippen, der Pyjamahosen als bequeme Kleidungsstücke schätzt. Der geniale Mathematiker Alan Turing hat Walt Disneys Zeichentrickfilm Schneewittchen schon sehr oft gesehen. Die Kinobesuche dienen ihm als Fluchtpunkt aus der Realität. Im Kino kann Turing ausblenden, was ihm in seinem Leben passiert. Oder besser: das herbeisehnen, was nicht geschieht.

Turing ist schon zu seiner Schulzeit Außenseiter. Verstanden fühlt er sich nur von Christopher, doch der Freund stirbt plötzlich am Genuss verdorbener Milch. Noch während seines Studiums wird er zum Vordenker der Künstlichen Intelligenz, die ihn letztlich in ein Team führt, dass während des Zweiten Weltkrieges das Nachrichten -Verschlüsselungsprogramm der deutschen Wehrmacht „knacken“ soll. Nach vielen Fehlversuchen ist Turing schließlich erfolgreich und wird nach dem Krieg Dozent. Und dennoch schwebt permanent ein Hauch von Melancholie und Sehnsucht über seinem Leben. Turing ist homosexuell. Und das stellt einen Straftatbestand dar im Großbritannien Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. So ist an ein Ausleben dieser Seite seiner Persönlichkeit nicht zu denken. Außerdem ist er nahezu krankhaft schüchtern.

Benoit Soles beleuchtet in Die Turing-Maschine das Leben des Mathematikers, das mit einem Selbstmord im Jahre 1954 endet. Dieser Selbstmord bildet auch den Schlusspunkt des Zwei-Personen-Stücks, das in mehrere Szenen gegliedert ist.

Regisseur Meinhard Zanger verzichtet quasi völlig auf Bewegung. Es geht ihm um eine Seelenschau Turings. Tiefe Einblicke in dessen Charakter will Zanger schaffen und dazu genügen ihm Worte, sanfte Gesten und tiefe Blicke. Dafür lässt der Regisseur seinem Darsteller viel Raum, gibt ihm Muße, Zeit und Ruhe. Und Alessandro Scheuerer nutzt diesen Platz und zeichnet Turing als ebenso genialen wie zutiefst verletzlichen Menschen, der sich gegen niemanden wirklich zu wehren in der Lage ist. Scheuerer verströmt dunkle, waidwunde Blicke, die Lebensqual ausdrücken, bis er sich am Ende zu seiner Homosexualität bekennt. Als Preis muss er, um eine Gefängnisstrafe zu vermeiden, in eine Hormonbehandlung einwilligen, deren Folgen in letztendlich in den Tod treiben.

Florian Bender verkörpert in Zangers höchst sensibler Inszenierung das wirkliche Leben.: Er ist Arnold Murray, den Turing für ein wenig Zärtlichkeit bezahlt. Heute würde man ihn als Escort-Boy im Nebenverdienst bezeichnen. Und er ist der Polizeiinspektor, der Turing erst verfolgt, ihm letztendlichaber zum einzigen Freund wird. Bender erweist sich in diesen beiden Rollen als wunderbar wandelbar.

Zanger gelingt eine schöne, leise und berührende Regiearbeit mit zwei ganz exellenten Darstellern.