Übrigens …

Macbeth im Schauspielhaus Düsseldorf

Sind die Hexen erst im Kopf, dann sind sie überall

Gesund wirken sie alle nicht, die Figuren, die Evgeny Titov in seiner Inszenierung von Shakespeares Macbeth am Düsseldorfer Schauspielhaus auf die Bühne gestellt hat. King Duncan ist ziemlich altersschwach, die meisten anderen lassen irgendwelche psychischen Macken erkennen oder leiden an einem Mangel an Selbstakzeptanz. Macbeth ist bei seinem ersten Auftritt auch physisch malad: Er liegt im Koma. Upon the heath, was in Schottland heißt: mitten im Gebirge. Was in dem Bühnenbild von Etienne Pluss heißt: auf einer monumentalen, zerklüfteten, scharf konturierten schwarzen Bühnenskulptur. Aus deren Falten krauchen die Hexen: „Fein ist faul und faul ist fein…“ Die Hexen sind das Phantasieprodukt des komatösen, kriegsverletzten jungen Heeresführers. Ausgeburt der Hölle vielleicht, Ausgeburt eines Traumas ganz sicher: Von nun an werden sie immer da sein.

Die Hexen sagen Macbeth bekanntlich eine Reihe weiterer career steps voraus. Dabei war mutmaßlich schon der Schritt zum Heerführer eine ziemliche Herausforderung für den jungen Mann: André Kaczmarczyk zeichnet zunächst das Psychogramm eines für einen Schlachtenlenker ungewöhnlich labilen, ängstlichen Youngsters. Das Trauma, das ihn die Hexen sehen lässt, ist vermutlich nicht nur ein Kriegs-Trauma. Denn der Kerl leidet auch an einem Ödipus-Komplex. Die gestrenge alte Dame, mit der der junge Mann verheiratet ist, könnte seine Mutter sein: Manuela Alphons ist 40 Jahre älter als Kaczmarczyk und unterstreicht in ihrem Spiel diese Altersdifferenz eher als dass sie sie kaschiert. Ganz gesund ist auch die nicht: Ohne Liebe und vom Ehrgeiz zerfressen, wirkt sie extrem verhärtet, und ihr Verhältnis zur Macht muss man wohl als psychotisch bezeichnen. Im eleganten, maskulin wirkenden schwarzen Hosenanzug sitzt die grauhaarige Lady in einem grauen Saal ihres Schlosses und spricht einen grauenvollen Monolog, in welchem sie ränkeschmiedend allem Weiblichen abschwört. Das schwache Geschlecht repräsentiert in dieser Ehe wohl eher ihr junger Gatte. Dessen sexuelle Annäherung lässt sich kaum als einvernehmlicher Geschlechtsverkehr verkaufen: Es ist die verzweifelte Kopulation eines mehr und mehr verrückt werdenden Macbeth, der sich voller Angst den Machtphantasien und Zukunftsplänen ausgeliefert sieht, die die Lady in sein Hirn implantiert hat. That’s where the trauma comes from: Die seiner Phantasie entspringenden Hexen verstärken nur die Angst-Psychose, die die dominante und machtbesessene Gattin in ihm auslöst. Was ihn antreibt, ist vermutlich vor allem das Gefühl, nicht zu genügen. Macbeth klammert sich mehr an seine Lady als dass er sie bespringt, und in diesem Moment scheint die widerstrebende Lady zu erkennen, dass sie mit ihrem Ehrgeiz ein Monster erschaffen hat.

Zugegeben: Das ist eine etwas waghalsige Interpretation von Titovs Inszenierung, doch sie lässt sich mit vielen kleinen Szenen begründen. Der Auftritt von Alphons ist ein Ereignis, aber Ehegatte oder Sohn dieser Megäre möchte man nicht sein. Kaczmarczyks Macbeth drückt sich nach ihrem Monolog erschöpft, aber auch verängstigt in die rissige Wand. Der kalte Saal sieht aus wie die Räume einer heutigen Burgruine: Die Statik in diesem Lande stimmt nicht mehr; Schottland ist längst sturmreif geschossen. Eine Ruine ist auch König Duncan: Rainer Philippi gibt ihn als einen altersschwachen, schwerfälligen Herrscher in goldbesetztem Purpur-Umhang; hinter ihm haben sich seine Gattin (Claudia Hübbecker) und sein Hofstaat streng hierarchisch aufgestellt. Der Hof ist in überkommenen Traditionen erstarrt und kaum zukunftsfest. Sprung im Gemäuer, Loch im Dach: Das Land bedarf dringend der Erneuerung. Der bisherige Regierungs-Chef scheint dazu nicht mehr fähig.

Höchste Eisenbahn also, dass Duncan seine Nachfolge festlegt. Doch gerät er dabei ins Stottern: „Macb… (lange Pause) … mein Sohn Malcolm.“ - Es sind nicht die Hexen, die ihm diesen Versprecher eingeben, es ist sein Unterbewusstsein - Freud‘sche Fehlleistung im alten Schottland. Bald wird man Malcolm kennenlernen, und man weiß sogleich, dass dieser kahlköpfige, mit Gold, Silber und anderem Geschmeide behängte Narr im Reifrock mit dem Amt des Königs überfordert wäre. Bei Florian Claudius Steffens ist Malcolm ein aus der Art geschlagener Außenseiter, der seinen Platz in der Gesellschaft nicht gefunden hat und, höflich ausgedrückt, noch auf der Suche nach seiner sexuellen Identität ist. Genau genommen klingt das, was er im Hinblick auf sein Geschlechtsleben andeutet, eher kriminell. „Ich bin nur reich an Sünde“, gesteht er. Königssöhne stellte man damals weder vor Gericht noch brachte man sie in einer forensischen Klinik unter, aber Malcolm weiß selbst, dass er auf dem Thron eine Fehlbesetzung wäre. „Besser Macbeth als sowas auf dem Thron“, seufzt Macduff. Der ist einer der wenigen aufrechten, verantwortungsbewussten Gestalten dieses Dramas und muss sich deshalb von Malcolm als „Kind des Anstands“ verspotten lassen. Bei Sebastian Tessenow ist er schauspielerisch in besten Händen.

Von Anfang an setzt die präzise durchdachte und detailgenau gearbeitete Inszenierung also kleine Zeichen. Wer das Stück gut kennt, vermag sie zu deuten. Vermutlich ist es Corona geschuldet, dass man in zwei Stunden mit dem umfangreichen Stoff fertig werden will, und so geht es zu Beginn ein wenig holterdipolter voran. Aber schon die Szenenwechsel sorgen für Spannung: Kurze Blackouts werden begleitet von einem dunklen Jingle, der Dramatik, Spannung, aber auch die Aussichtslosigkeit des Schicksals ankündigt. Und nach jedem Black gibt es wieder eine neue Perspektive auf die grandiose, auf einer Drehbühne montierte Bühnenskulptur. War sie anfangs noch ein stilisiertes Gebirge, verwandelt sie sich je nach Blickwinkel in den Vorplatz des Schlosses, in die Gemächer des Ehepaars Macbeth, in Innenräume des Königsschlosses. Einmal sieht man Macbeth und seine Lady auf den Felsen miteinander konferieren, doch ein schmaler Spalt am linken Bühnenrand gibt den Blick in den Innenraum des Schlosses frei, in dem die Hexen herumlungern. Der bereits beschriebene rissige Saal befindet sich auf der Rückseite der kantigen Skulptur und ist im Kontrast zur Vorderseite großzügig geschnitten mit klaren rechten Winkeln. Wenn er erstmals innerhalb von Sekundenbruchteilen aus dem Black auftaucht - dort, wo gerade noch das zerklüftete abstrakte Gebilde gestanden hatte -, ist das ein überwältigender Überraschungseffekt. Die Szenenwechsel sind angelegt wie rasche Filmschnitte.

Doch zurück zu Macbeth und den ihn bedrängenden Hexen. Auch die drei kahlköpfigen ununterscheidbaren Gestalten (Blanka Winkler, Caroline Cousin, Stella Maria Köb) wirken in der bildmächtigen Inszenierung wie lebende Skulpturen und werfen bisweilen Schatten des Todes an die Wand. Sie spiegeln die Entwicklung von Macbeth und treiben sie voran: Als seine Hirngespinste werden sie aktiver, je mehr der anfangs ängstliche junge Mann nach Ausübung des Mordes an Duncan selbst in den Driving Seat zu gelangen versucht und Blutdurst und Machtgier überhandnehmen. Als Macbeths Vertrauter Banquo (ebenfalls stark: Matthias Buss als eher raubeiniger, rustikaler Soldat) sein Misstrauen gegenüber Macbeth äußert und ihm auf subtile Art den Krieg erklärt, töten die Hexen ihn: Macbeth ist nicht mehr Herr seiner Sinne; die Steuerungsfunktion übernehmen die allgegenwärtigen, perfide planenden Furien in seinem Hirn. Unmittelbar nach der Ermordung Duncans war Macbeth noch voller Angst gewesen, aber seine Lady hatte da in hohem Maße hexenhaft gewirkt. Je mehr der Wahnsinn nun auch von der Lady Besitz ergreift, desto aktivistischer wird, angestachelt und gelenkt von den nun allgegenwärtigen Hexen, Macbeths eigener Machtwille. Die hexenhafte Attitüde der Lady spukt nun mehr und mehr in Macbeths eigenem Hirn, und als die Lady stirbt, tanzt Kaczmarczyk einen langen stummen Tanz, währenddessen er vergeblich seine Hände zu reinigen versucht. Der Waschzwang der wahnsinnig gewordenen Lady, die den Fluch ihrer Tat erkannt hatte und unter Aufsicht und mit nur scheinbarer Mithilfe der Hexen vergeblich ihre Hände vom Blut zu reinigen versucht hatte, ist nun auf den Gatten übergegangen. Witchcraft - Besessenheit im Kopf. Die Hexen übernehmen das Regiment am Hof.

Die Aufführung, die zu einem frühen Saison-Höhepunkt in Düsseldorf wird, geht ihrem Ende zu. So weit entfernt von Freud ist sie immer noch nicht: Albtraumbilder sagen Macbeth das Ende voraus. Aus einem offenen Grab präsentieren die Hexen Macbeth das Abbild seines eigenen, blutüberströmten Kopfes. Fleance erscheint, Banquos Sohn, ein Kind noch, das gemäß der Prognose der Hexen später einmal Begründer einer Dynastie von Königen werden soll. Irgendwie scheint Macbeth zu begreifen, dass diese Bilder ihm von den Hexen in seinem Hirn vorgegaukelt werden. Als nach seinem Tod nun doch Malcolm König werden soll, wird dieser sofort von den Hexen attackiert. Macht korrumpiert nicht nur, wie eine alte Volksweisheit zu wissen glaubt, Macht macht krank. Vernebelt die Sinne. „Fein ist faul, und faul ist fein. Lauernd woll’n wir Dunst im Nebel sein.“