Übrigens …

Minna von Barnhelm im Schauspielhaus Düsseldorf

Die Sache der Ehre

Kein Stück der Weltliteratur ist so unterschiedlich interpretiert worden wie Minna von Barnhelm, das 1763 geschrieben wurde. Der Regisseur Andreas Kriegenburg schafft es, auf aktuelle Weise zu zeigen, wie Menschen auf komplizierte und widersprüchliche Art und Weise umeinander ringen und worauf es dabei ankommt. Nämlich den anderen ernst zu nehmen und wertzuschätzen.

Worum geht es in diesem Soldatenstück? Im Mittelpunkt steht die komplizierte Liebe zwischen einem sächsischen adligen Fräulein und einem kurländischen Major, dem die preußische Regierung zu Unrecht Bestechlichkeit vorwirft und ihn deshalb unehrenhaft aus dem Militär entlassen hat.

Minna von Barnhelm und Major von Tellheim haben sich – nach dem ersten stürmischen Kennenlernen, das mit einer Verlobung endete – ein halbes Jahr nicht gesehen und auch nichts voneinander gehört. Jetzt treffen sie auf fremden Boden in einem unwirtlichen Gasthaus aufeinander. Für Tellheim hat sich viel in seinem Leben verändert. So scheinen die Sterne für eine glückliche Verbindung schlecht zu stehen. Er glaubt sich – mittellos, ohne Anstellung und zudem noch behindert, eine feindliche Kugel lähmte seinen Arm – nicht mehr würdig für eine Verbindung mit der wohlhabenden Minna. Soi kniet er vor ihr nieder und sagt: „Ich kann der Ihrige nicht sein. Denn ich bin es in den Augen der Welt nicht wert zu sein.“ Und dieser Satz ist aktueller denn je. Negative Bemerkungen des Umfeldes über eine scheinbar so ungleiche Verbindung kann sich jeder vorstellen. Tellheim versetzt beim Wirt des Gasthofs seinen kostbaren Verlobungsring und weigert sich mehrfach, ihm zustehendes Geld anzunehmen, das ihm alte Weggefährten, so sein ehemaliger Wachtmeister Paul Werner, zukommen lassen wollen. In dieser Situation trifft ihn Minna, die mit ihrer Dienerin Franciska auf der Suche nach Tellheim im Wirtshaus ankommt. Sie lässt sich eine Intrige einfallen, um Tellheim zur Vernunft zu bringen und ihn zurückzugewinnen, was nach etlichen Kapriolen auch gelingt.

Andreas Kriegenburg führte nicht nur Regie, sondern zeichnete auch für das Bühnenbild verantwortlich. Ein riesiger Haufen ganz verschiedener Stühle dominiert die Bühne. Kriegenburg nennt es eine „emotionale Installation – mit Möbeln, die ihre Zeit gehabt haben und nun hier angelangt sind.“ Es ist aber zugleich auch ein treffliches Bild für Unbehaustheit, für die durch den Krieg gestörte Alltagsordnung oder überhaupt für Kriegsschauplätze. Eine runde Plattform im Vordergrund mit nur wenigen Stühlen dient hauptsächlich als Spielfläche. Die Bühne dreht sich permanent und kommt erst ganz zum Ende zum Stehen, wenn alles seine Lösung gefunden hat. Kriegenburg kann sich auf ein exzellentes Ensemble verlassen. Wolfgang Michalek überzeugt als Tellheim, der zutiefst gekränkt und frustriert ist. „Der Unglückliche darf nicht lieben.“ Und „Ich will Gerechtigkeit, Ehre.“ Erst nach und nach gelingt es Minna – Minna Wündrich spielt sie hervorragend facettenreich, mal schmeichelnd, dann verzweifelt, dann wieder pragmatisch - , den Geliebten zurückzuerobern. Was die Beziehung von Minna und Tellheim so aktuell macht, ist, dass es hier um eine gleichberechtigte Partnerschaft geht.

Minna von Barnhelm“ ist auch eine Komödie. Herrlich der pfiffige Wachtmeister Werner (Florian Lange), der Geschäfte mit dem Krieg macht („Ich bin ein Camouflage-Typ.“) und heftigst mit Franciska (Lea Ruckpaul spielt sie wortgewaltig, äußerst lebendig und selbstbewusst) schäkert. Thomas Wittmann glänzt als schmierig-neugieriger Wirt, der seine Gäste nur zu gern oberviert. Jonas Friedrich Leonhardi spielt Just, den impulsiven, tolpatschigen Bedienten des Majors, der auch das Herz auf dem rechten Fleck hat. Wolfgang Reinbacher, ohne den das Düsseldorfer Schauspielhaus nicht denkbar wäre, gibt den Ricaut de la Matiniere, ein altes Spielerschlitzohr, der sich rühmt, nie zu betrügen, nur etwas „corriger la fortune“ zu betreiben. Verdienter Szenenapplaus.

Insgesamt trotz der in Corona-Zeiten unüblichen drei Stunden ein höchst abwechslungsreicher und vergnüglicher Abend nicht ohne Tiefgang. Zu Recht reichlich Applaus für diese sehr gelungene Inszenierung.