Übrigens …

Sophia, der Tod und ich im Köln, Theater im Bauturm

Mit dem Rasenmäher der Endlichkeit auf Tour

Das Ich des Titels ist ein Er, und seine Welt ist etwas armselig: ein Fernsehgerät, auf dem in Dauerschleife Fußball läuft, ein Sofa, ein primitiver Tisch mit zwei Stühlen und ein riesiger Kühlschrank mit viel Bier. Im Laufe des Abends wird man erfahren, dass „Er“ beruflich als Altenpfleger tätig ist, und da verdient man ja keine Reichtümer. Freigiebig ist „Er“ allerdings schon: Eine Viertelstunde vor Beginn der Aufführung beginnt der Einlass im Theater im Bauturm, und zwanzig Minuten lang verteilt Henner Momann sein Bier ans Publikum. Er drängt er es einem geradezu auf, und er hat dabei ein ziemlich lautes Organ. Womit der Ton für den Rest des Abends gesetzt ist: laut, leutselig, improvisierend. Die vierte Wand ist längst eingerissen, bevor es losgeht: Momann und sein Publikum flachsen miteinander, und Letzteres ist fast in Schunkelstimmung, Na denn Prost.

Ein Altenpfleger der Herzen ist „Er“ nicht gerade, wenn der Eindruck nicht täuscht. Ihn interessieren eben nur Fußball, Sofa und Bier. Seine altersschwache Mutter hat er seit Ewigkeiten nicht besucht, und seinen sieben- oder achtjährigen Sohn hat er im Grunde noch nie gesehen. Da kann er allerdings nix für – oder sagen wir: Wer nach den Ursachen dieses Versäumnisses fahnden will, muss vermutlich vor der Geburt des Sohnes anfangen. Irgendwas wird er damals wohl falsch gemacht haben, denn die Mutter des Sohnes hält ihn zwangsweise von allen Vaterfreuden und -pflichten fern. Immerhin schreibt er dem Sohnemann bis heute jeden Tag eine Postkarte. Die Inhalte sind belanglos bis wenig empfängeradäquat, aber egal: Irgendwie hat er offenbar doch das Herz am rechten Fleck, wenn es dort auch ein bisschen verkapselt scheint. Und schon stolpert einer rein, der zur Attacke auf dieses verkapselte Herz an diesem rechten Fleck bläst: Es ist Julian von Hansemannals Der Tod, ein ziemlich merkwürdiger Typ mit einem modisch völlig verqueren Anzug, einem enervierend albernen Grinsen und einer unangenehmen Gabe, die leider nicht abzustellen ist: Wer von Hansemann umarmt wird, stirbt. In drei Minuten, so droht der Tod an, wird Momann sein letztes Bier getrunken haben und sein Herz zum Stillstand gekommen sein. Doch da klingelt es erneut an der Wohnungstür…

Irgendwie ist der Tod ein etwas selbstverliebter Fatzke, aber er ist nicht unintelligent. Und vor allem hat er Humor. Dass nun allerdings die Ex von Momann ihn bei der Arbeit stört, bringt ihn aus der Fassung: Zusehen bei seinem Handwerk is‘ nämlich nicht. Anika Baumann als Sophia ist die einzig halbwegs Normale in der schauspielerischen Dreier-Combo, erfrischend, sympathisch und offenbar immer noch ein bisschen verliebt in den „Er“. Grund ihres Besuchs: Sie wollen gemeinsam zu seiner Mutter fahren. (Die spielt Anika Baumann auch, und in dieser Rolle ist sie leider nicht so überzeugend wie als junge Ex-Freundin, aber dem Vergnügen tut das nur geringfügig Abbruch.) Jedenfalls hilft nun alles nix: Der Tod muss mit. Aus den drei Minuten werden drei Tage, aber Auftrag ist Auftrag: Statt dass der „Rasenmäher der Endlichkeit“ nun die etwas tüddelige, aber sympathische alte Hamburger Dame ins Visier nimmt und den jungen „Er“ am Leben lässt, bleibt Momann das Ziel der tödlichen Umarmung. Auf dem Sofa muss Hansemann mächtig balancieren, um nicht versehentlich die ihn ganz süß findende Sophia in den zärtlichen Klammergriff zu nehmen. Stattdessen muss er sich eines Nebenbuhlers erwehren, der ihm den Thron der Finsternis entwenden möchte und Momanns kleinen Sohn töten will. Söhnchen Johnny wird also auch noch schnell besucht und überlebt, Tod und „Er“ gehen am Ende aber ab in eine ungewisse, aber vermutlich maximal drei Minuten währende Zukunft.

Thees Uhlmann, der Leadsänger der Indie-Band Tomte, hat im Jahre 2015 einen rotzigen, witzigen, besinnlichen Roman geschrieben, der gleich die SPIEGEL-Bestseller-Liste erklomm. Literarisch ist Uhlmann kein Thomas Mann und auch kein Eugen Ruge, aber unterhaltsam ist sein immerhin 320 Seiten starker Roman schon. Unterhaltsam und vor allem ungeheuer temporeich ist auch die Aufführung von Baumann, Momann und von Hansemann, deren Erfolgs-Inszenierung seit zweieinhalb Jahren von Mainz aus durch die Republik tingelt. Die drei haben eine eigene Textfassung entwickelt, die nicht nur ebenfalls rotzig, witzig und besinnlich ist, sondern auch viel Raum zur Improvisation lässt. Großes Theater ist auch das nicht – Anika Baumann, Henner Momann und von Hansemann sind eben nicht Karin Beier, Michael Thalheimer und Vontobel. Aber es gibt viele überraschende, hanebüchene Wendungen, ein paar nette Wortspiele, viel Bier und viel Interaktion mit dem Publikum, das auch schon mal auf die Bühne gebeten wird, um die Kneipenrückwand zu stemmen. Der mittelalte Herr, der in der vom Schreiber dieser Zeilen besuchten Aufführung den Rezeptionisten des Hotels spielen musste, in dem Sophia, der Tod und „Er“ drei nebst Mutter absteigen, war den Profis an Schlagfertigkeit und Humor absolut ebenbürtig.

Alles in allem ist das, was wir erleben, eher Comedy als Komödie. Am Ende hält von Hansemann zwar eine wunderbare Rede zu melodramatischer Musik, aber die besinnlichen Momente, die sowohl das Buch als auch die Aufführung durchaus beinhalten, geraten nach dem Geschmack des Rezensenten allzu sehr ins Hintertreffen. Aber so sollte es wohl sein, und so sei es denn auch gelobt und gepriesen, denn das Publikum im restlos ausverkauften Theater im Bauturm war vor Begeisterung kaum zu bändigen. Der Rezensent hätte gern ein bisschen mehr geweint statt gelacht…