Sie will – will alles oder nichts
Als sich der Vorhang hebt, wabert auf der Bühne dichter Nebel und aus dem Off ertönt die Stimme von Hildegard Knef mit der Verheißung, dass es „Rote Rosen“ regnen werde, und mit dem Anspruch auf „alles oder nichts“, auf Glück und Freiheit. Ist das Kitsch oder Ironie? Hat nicht kürzlich unsere Kanzlerin sich mit dem gleichen Song verabschieden lassen? Das allerdings kommt zeitlich nicht hin, denn die Inszenierung stammt aus dem vergangenen Jahr, konnte wegen der strikten Corona-Bestimmungen aber erst jetzt zur Aufführung gelangen.
Unter den Klängen der 1960er Jahre hebt sich der Nebel langsam und gibt den Blick auf eine raumfüllende dunkelrote Kulisse aus gestuften Podesten frei. Ganz unten, auf der untersten Stufe hockt auf den Boden gekauert eine Frauengestalt in weißer Sportunterwäsche mit strähnigem Haar: Maria Stuart, Königin von Schottland, die allen Widernissen zum Trotz, laut die Forderung nach ihrer „angestammten Krone“ erhebt (hinreißend: Judith Bohle).
Ganz oben, auf der obersten Stufe gibt der Bühnennebel langsam eine zweite Frauengestalt frei, diese allerdings in opulentem Tüllkleid: Elisabeth, Königin von England. (Eindrucksvoll: Minna Wündrich)
Diesen beiden Königinnen schuf Schiller vor 222 Jahren ein literarisches Denkmal. Die Handlung spielt im Jahr 1587. Sie setzt drei Tage vor Marias Hinrichtung ein, nachdem sie neunzehn Jahre in England in Gefangenschaft verbrachte. Dorthin war sie schutzsuchend geflohen, da sie wegen des Verdachtes auf Anstiftung zur Ermordung ihres Gatten aus dem eigenen Land fliehen musste. Doch statt Schutz zu gewähren, ließ Elisabeth sie inhaftieren.
Schiller, der Geschichtsprofessor, recherchierte genau, nahm sich jedoch die dichterische Freiheit, die Protagonistinnen erheblich zu verjüngen und ihnen so glaubhaft nicht nur die Rivalität um Krone und Macht, sondern auch um die Gunst der Männer zu unterstellen und dabei nicht zuletzt die Grundzüge seiner ästhetischen und geschichtsphilosophischen Gedanken zu verarbeiten. So schildert er in Elisabeth I. eine kühl-reformorientierte protestantische Herrscherin, die privaten Gefühlen keinen Raum lassen will, Ehe- und Kinderlosigkeit für sich einfordert und Sätze sagt, die selbst Feministinnen erfreuen könnten. Scharfsinnig und humorvoll steht sie ihre Frau, wenn sie den braven Talbot (etwas jung besetzt mit Thiemo Schwarz), der das Weib für ein „gebrechlich Wesen“ hält, entschieden zurechtweist: „Das Weib ist nicht schwach. Ich will nichts von der Schwäche des Geschlechtes hören!“ Aber dann doch an anderer Stelle beklagen muss, dass „eine Hälfte des Geschlechts der Menschen der andern unterwürfig“ gemacht wird.
Dafür schafft die Düsseldorfer Inszenierung großartige Bilder: während Elisabeth im Reifrock langsam in die Mitte der Kulisse steigt, ist sie plötzlich von allen Seiten umringt von gewichtig mit Dokumenten wedelnden Männern in dunklen Anzügen mit Schlips und Kragen (ganz heutig) , die längst das Urteil über Maria gefällt haben und von der Königin lediglich die Unterschrift zur Vollstreckung einfordern. Auch was danach zu geschehen hat ist schon geplant: Elisabeth hat zu heiraten und einen Thronfolger zu gebären. Da fragt keiner nach ihren eigenen Lebensentwürfen, die sie selbst allerdings auch gar zu willig der Staatsraison anzupassen bereit ist. Zwar lässt Schiller als cleverer Jurist die Männer noch debattieren, gewährt jedem ein Plädoyer, doch die Entscheidung ist längst gefallen, wenn auch Elisabeth - inzwischen im schlabbrig sitzenden goldgelben Hosenanzug - sich noch Bedenkzeit ausbittet. Hinrichtung oder Begnadigung?
Dieser Aufschub gibt allen Typen noch einmal Gelegenheit, sich zu profilieren. Zwar wird nur die Hälfte der Schiller’schen Figuren in Düsseldorf gebraucht, doch die wichtigsten treten auf. Die Streichungen sind klug gesetzt, so fehlen Gott und Religion, viel metaphysisch und idealistisch Ausschweifendes wird uns nicht zugemutet und auch den beiden Heldinnen werden die allzu megärenhaften Texte erspart, wodurch Elisabeths Entscheidung weniger eifersüchtige als vielmehr politische Züge erhält. (Da käme Brecht die parodistische Assoziation zu zankenden Fischweibern nicht in den Sinn). Allerdings bleibt der intriganten Polit-Klicke genug Raum, ihre Gesichter zu zeigen. Allen voran überzeugt und amüsiert Wolfgang Michalek als perfider Höfling Leicester, der mal kriecherisch (ganz konkret), mal geistreich beide Damen umgarnt. Herrlich auch Joscha Baltha als komisch naiver Umstürzler aus Leidenschaft, dem so gar nichts gelingt - außer seinem Selbstmord.
Wie wohl in jeder Maria Stuart-Inszenierung steht die Begegnung der beiden Frauen, die Elisabeth lange nicht zugestehen will – und die historisch auch nie stattfand - auch in Düsseldorf im Zentrum der Aufführung. Die Regisseurin Laura Linnenbaum bringt sie bildstark auf die Bühne: Elisabeth steht auf einem Podest über Maria, die aber jetzt in üppigem, dreistufigem Reifrock in strahlendem Weiß-Rosé erscheint. Zunächst gibt sie sich unterwürfig, erbittet nichts als die Freiheit. Wieder ertönt der Knef-Song, doch jetzt sollen es wohl Blutrosen sein, die da regnen und das Alles-oder-Nichts verlangen: Maria fordert nicht nur die Freiheit, sie fordert auch den Thron. „Regierte Recht, so läget Ihr vor mir im Staube jetzt, denn ich bin euer König.“ Das besiegelt ihren Tod.
Zwar gibt Schiller der bereits Verurteilten Gelegenheit, in einem brillanten Streitgespräch mit dem Staatsrat viele justiziable Argumente als Beweis für ein Fehlurteil und für Verhandlungsfehler des Gerichtes ins Feld zu führen (womit der Autor seine Kompetenz beweist), doch das Urteil steht fest. Für einen Moment lässt das Bühnenbild noch einen Hoffnungsschimmer auf Machtverschiebung zu: die Stufen werden verschoben und bilden einen dunklen Gang quer über die Wand, in dem die Männer gebückt und auf Knien rutschend zu Elisabeth hoch kriechen: doch das Buckeln bringt keine Veränderung. (Die Szene erinnert an „Die Ratten“ von Thalheimer/Altmann am Deutschen Theater in Berlin 2007.) Am Ende machen sich die Herren zwar alle auf und davon, doch Elisabeth tut das, was sie wollten. Nur aus der Heirat wird nichts, allerdings auch das nur aus Staatsräson.
Grandios die Idee, den fünften Aufzug mit dem Deus-ex-Machina-Priester Melvil und den verkitschten Beicht- und Abendmahlszeremonien (die übrigens schon bei der Uraufführung kritisiert und abgeändert wurden) ganz wegzulassen und durch ein zweites, imaginäres Königinnengespräch zu ersetzen.
Die gewaltige Kulisse wird gedreht, ein Gestänge kommt nach vorn, darin auf halber Höhe eine nach hinten abfallende Schiefe-Ebene im Dämmerlicht. Darauf gleitet Elisabeth halb liegend vom Gespräch sichtlich ergriffen, langsam nach hinten weg. Maria gesteht ihre Schuld und nimmt „den unverdienten Tod“, um „die frühe schwere Blutschuld abzubüßen“ auf sich. Sie findet zur Übereinstimmung mit sich selbst und erreicht im Schiller’schen Sinn die höchste Stufe, den „moralischen Zustand“ des Individuums. „Die Krone fühl ich wieder auf dem Haupt“ schließt sie das Gespräch. (Getreu den Thesen in den Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“.) Diese Rolle lässt ihr die Regisseurin, stellt aber die Figur der Elisabeth mit gleicher Wucht neben sie. Laura Linnebaum vertraut dem Schiller’schen Text, modernisiert ihn allein durch Streichung und bringt mit zwei starken Frauen - ohne textliche Aktualisierung- ein zeitlos bedeutendes und ergreifendes Drama auf die Bühne.Das Publikum applaudierte begeistert.