Was auf der Fahrt für Träume kommen mögen
Nichts wollen wir hier berichten von dieser neuen Performance von Subbotnik. Wir wollen Ihnen ja nicht den Spaß verderben. Denn für den sorgen nicht nur die einen oder anderen Überraschungseffekte, sondern vor allem Ihre eigenen Phantasien. Statt von Subbotnik erzählt Ihnen der Rezensent deshalb einfach ein paar Anekdoten aus seinem Leben. Zum Beispiel wie er mit einem jungen Mann aus Bamako und einem malariakranken Fahrer durch Burkina Faso und Togo gereist ist. Oder wie er an der weißrussischen Grenze sein Portemonnaie und seine Papiere vergessen hat und als Konsequenz daraus von einer ungeheuer sympathischen belorussischen Grenzbeamtin durch alle Kontrollen begleitet und mit vielen nützlichen Tipps versehen ins Land von Alexander Lukaschenko eingelassen wurde. Oder wie er sein Auto in Norwegen auf die falsche Fähre steuerte und anstatt mal eben über den Fjord zu hüpfen stundenlang einem unbekannten Ziel entgegenschipperte. Mitten in der Nacht in strömendem Regen baute er an unbekanntem Ort sein Not-Zelt auf, das dann im Sturm zusammenbrach. Auch in Ungarn verlor er - noch in Vor-Wende-Zeiten - Ausweispapiere und Geldbörse und schaffte es dennoch über die Grenze nach Österreich und ins Flugzeug von Wien nach Düsseldorf. Und in Kirgistan überließ er sich einem russischen Fahrer, der kein Wort Deutsch oder Englisch sprach und ihm dennoch eine Woche lang die berückende Schönheit des Landes zeigte - ein wahrer Blindflug mit traumhaften Bildern.
Und jetzt hat uns die Pandemie im Griff. Frisch geboostert und stets mit FFP2-Maske ausgerüstet, hat der Schreiber dieser Zeilen das Leben wieder in gewohnter Form aufgenommen; die Einschränkungen, die der Geimpfte noch hinnehmen muss, halten sich in Grenzen. Alles was fehlt, sind die großen, individuellen Erlebnisreisen, die Abenteuer in fremden Ländern und Kontinenten. Das finden auch die wunderbaren Geschichtenerzähler des Performance-Kollektivs Subbotnik, die in ein verlassenes ehemaliges Autohaus in einem gesichtslosen Düsseldorfer Industrie- und Gewerbegebiet eingeladen haben. Und so nehmen sie zweimal 8 Personen pro Tag mit auf eine Traumreise. Was auf der Fahrt für Träume kommen mögen, wenn wir die pandemische Verstrickung lösen, die uns stillzustehen zwingt, dürfte individuell verschieden sein. Die meinen waren Erinnerungen - die Ihren mögen echte Träume sein. „Wie weit muss man gehen, um dem Alltag zu entfliehen?“, fragt Subbotnik, und: „Wie lässt sich das Fernweh lindern?“
Das Fernweh hat die Gruppe erstmal geschürt. Am Tag vor der Vorstellung erreicht alle Mitreisenden eine E-Mail, man möge doch bitte einen Schlafsack mitbringen, ersatzweise einen Koffer mit allen reisenotwendigen Utensilien - und bitte auf keinen Fall den Reisepass vergessen. Der wie immer etwas desorientierte Schreiber dieser Zeilen - siehe 1. Absatz - kam mal wieder ohne Dokumente und Schlafsack, denn er hatte nicht gelesen. Beim Check-in erwischt es noch die Kollegin von der Rheinischen Post - sie darf dem bürokratischen Schalterbeamten Oleg Zhukov ein paar Fragen zu ihrem Reiseverhalten beantworten und wird anschließend von Martin Kloepfer mit einer wunderbaren, märchenhaften Geschichte aus Bamako belohnt, die durchaus auch zum Nachdenken über interkulturellen Differenzen und Vorurteile anregt. Doch dann legt der Rezensent am Minsker Flughafen den effen Personalausweis vor. Aufgeregte Diskussion - Oleg Zhukov und Kornelius Heidebrecht sind die Grenzbeamten -; dann wird ein Ersatzdokument beschafft. Zhukov und Heidebrecht tanzen Kasatschok ob dieses Coups. In Norwegen wird dem schlecht vorbereiteten Besucher ein Ersatz-Schlafsack ausgehändigt - der Sturm, der vor 47 Jahren das Zelt des Schreibers zum Einsturz gebracht hatte, tobt zuverlässig immer noch. Doch auch im Dunkel scheint die Sonne: Wir träumen im Liegestuhl, lauschen Music for Airports und den meist poetischen, mal auch forcierten Posaunenklängen von Henning Nierstenhöfer oder der Bratsche von Lolla Süßmilch und trinken Tee am Lagerfeuer. Einer Holzskulptur werden scheinbar die Melodien eines Streich-Instruments entlockt als handele es sich um ein Kunstwerk von Nevin Aladag. Die stets so ungeheuer zugewandte, sanfte und menschenfreundliche Truppe von Subbotnik erzählt so banale wie poetische Geschichten und sorgt noch in der dunklen Tiefgarage für Wohlgefühl. Apropos Tiefgarage: Verschiedene Verkehrsmittel benutzen wir auf unserer Traumreise natürlich auch - manche real, andere im Traum, manche zum relaxten Sightseeing, andere zum Transport. Draußen rattert die Straßenbahn vorbei…
Die Performance entwickelt sich von Station zu Station weiter. Nierstenhöfer ist beispielweise erst zur Düsseldorfer Fassung hinzugestoßen - seine Posaune möchte man nicht missen. Wenn die Gruppe in ein paar Wochen in Köln gastiert, wird sich die Aufführung wieder verändert haben. Aber ohnehin erlebt jeder bei dieser Veranstaltung ein anderes Kopfkino. Denn jeder und jede von uns hat andere Sehnsüchte, andere Reiseerfahrungen und andere Urlaubs-Vorlieben. Subbotnik überlässt es uns, wovon wir träumen. Der Rezensent jedenfalls fühlte sich gut erholt, als er nach Hause kam. „Über die Afrika-Reise reden wir morgen“, rief er gut gelaunt der besten Ehefrau von allen zu. Das angesichts unserer unterschiedlichen Urlaubs-Vorlieben sicher konfliktäre Gespräch hatte eigentlich noch auf dem Programm gestanden. Doch was Subbotnik geboten hatte, reichte dem Abenteuerreisenden erstmal aus. Es war ein wahrer Blindflug - mit traumhaften Bildern.