Vaudeville der Insiderscherze
Milan Peschel kennt man als Schauspieler an der Berliner Volksbühne und aus vielen Film- und Fernsehrollen. Er spielte u.a. im Tatort und Tatortreiniger, in Altes Land und Jim Knopf und die wilde Dreizehn. Für seine Hauptrolle in dem Kino-Drama Halt auf freier Strecke (2011) wurde er mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Seit einigen Jahren inszeniert er an verschiedenen Theatern, jetzt zum zweiten Mal am Schauspiel Dortmund. Mit dem Ensemble und vielen Fremdtexten hat er ein Stück entwickelt mit dem rätselhaften Titel: The Head In The Door oder das Vaudeville der Verzweiflung.
Den Titel erklärt und klärt die Vorstellung nicht. „Ein Kopf in der Tür“ ist ein beliebtes Motiv aus dem Boulevardtheater oder bei Sketchen. Einer guckt durch die Tür, sieht etwas, das er nicht sehen soll und löst Verwicklungen und Komik aus. Solche Späße liebte auch das Vaudeville, eine Kunstform, die im späten 19., Anfang 20. Jahrhundert in Jahrmarktbuden, besonders in den USA, gepflegt wurde. Es waren kurze Solo-Nummern, Songs, Mini-Komödien. Die Kunstform ging später in den Stummfilm ein und wir kennen einige Künstler der Gattung, etwa Buster Keaton, Charlie Chaplin, Laurel und Hardy. An diese Kunstform will Peschel anknüpfen. Dabei soll der Untertitel „Vaudeville der Verzweiflung“ darauf hindeuten, dass in der Komik auch die Tragik steckt.
Es gibt keine Geschichte und keinen roten Faden. Die Grundsituation ist die Theaterbühne. Hier versammelt sich ein bunt kostümiertes Völkchen mit Zirkusuniformen oder im Charlie Chaplin-Look. Es sind Künstler mit Versagensängsten und sie haben offenbar kein Geld um die Miete zu bezahlen. So ziehen ins Theater und schlafen dort auch. Mit lächelndem Zynismus laden sie die Zuschauer ein: „Wir können ja gemeinsam mit euch Zuschauern schlafen. Ihr dürft nur nicht den Saal verlassen.“ Die Gefahr, dass man sich als Publikum langweilt, besteht allerdings. Die Texte sind redundant, wiederholen sich übertrieben oft. Immer wieder kreisen die Gespräche um Insiderthemen. Da geht es um Versagensängste, wie die Darsteller diese oder jene Rolle anlegen oder in welchen unbedeutenden Filmen sie unbedeutende Rollen gespielt haben. Empört zanken sie, wenn einer dem anderen seinen Text wegnimmt. Dahinter steckt die Idee, Stillstand darzustellen und für Langsamkeit zu werben gegen das kapitalistische Leistungsdenken. Leider sind die von Peschel ausgewählten Texte dazu wenig treffend und er walzt jeden Gedanken und jede Idee zu oft hin und her.
Eine bedeutende Rolle spielt die Drehbühne. Sie hat etwas von Kirmes in der Provinz und Möchtegern-Glanz. Naiv gemalte Spielorte zeigen Rokoko-Zimmer, den Wilden Westen, eine Wolke, aus der künstlicher Regen fällt, der wie Lametta aussieht. Die Drehbühne wird häufig in Gang gesetzt und das Ensemble rennt dann durch das Innere der Aufbauten voller illusionsfreier Balken, Klappen und Türen aus Sperrholz. Auch dieses Mittel wird zu oft eingesetzt und läuft sich tot.
Milan Peschel ist als Texter und als Regisseur nicht viel eingefallen. Das Spiel ist statisch, es wird hauptsächlich geredet, Slapstick oder Choreographie sind viel zu selten eingesetzt. Musikstücke werden lediglich eingespielt, keiner darf singen. Da wird viel an theatralen, auch inhaltlichen Wirkungsmöglichkeiten verschenkt. Vaudeville war unterhaltsamer und hatte mehr Gehalt, denkt man etwa an Charlie Chaplin, der aus Hunger seinen Schuh isst.
Die Schauspielerinnen und Schauspieler geben ihr Bestes. Sie zeigen durchaus Spielfreude, insbesondere wenn es um Insiderscherze geht. Am Ensemble liegt es nur teilweise, wenn der Abend mit wenig Gehalt und ästhetisch simpel verläuft. Sie können wenig oder dürfen es nicht zeigen. Kleine akrobatische Kunststücke fehlen, singen darf keiner, der Schauspieler Linus Ebner kann immerhin mit drei Bällen jonglieren, aus der er eine sehenswerte tragikomische Nummer entwickelt. Sein gesellschaftliches Engagement gegen Rassismus, für den Klimaschutz, so demonstriert er, wird stets dem Leistungsprinzip unterworfen, weil alle meinen, er müsste doch mit vier, fünf oder zehn Bällen jonglieren können. Hier nähert sich die Aufführung mal dem Titel über das Vaudeville der Verzweiflung.
Fazit: Sowohl von der Zusammenstellung als auch von der Regie dominiert das Theaterthema. Es ist kein Vaudeville der komischen Verzweiflung, eher ein Vaudeville der mühsamen Insiderscherze.