Die Tragödie blubbert und glitscht
König Ödipus von oder nach Sophokles ist zur Zeit eine Art Hit der antiken Klassik auf deutschsprachigen Bühnen. Von der Volksbühne und Schaubühne Berlin bis zum Bochumer Schauspielhaus sind in den letzten Monaten neue Inszenierungen des Stückes herausgekommen. Jetzt zog das Schlosstheater Moers nach in einer Inszenierung von Intendant Ulrich Greb.
Die Tragödie ist mitten unter uns. Darum spielt das fünfköpfige Ensemble zwischen dem Publikum, das von zwei sich gegenüber stehenden Tribünen auf die nahezu leere Spielfläche schaut. Alle fünf Darsteller und Darstellerinnen sind ständig auf der Bühne. Eine Schauspielerin (Emily Klinge) spielt alleine den Chor und kommentiert das Geschehen mit live und gut gesungenen Kunstliedern und Popsongs von Schubert bis Abba.
Der Mensch Ödipus ist schuldig, ohne es zu wissen, und er zieht dabei in den eigenen Untergang. Theben ist von einer großen Epidemie heimgesucht. Der Grund soll eine alte Blutschuld sein. Wenn der Mörder des früheren König Lajos gefunden werde, dann, so das Orakel von Delphi, werde die Stadt gerettet sein. Ödipus verspricht eine radikale Aufklärung. Nur langsam ahnt er, dass dieser König Lajos sein Vater war. Der hat Ödipus in der Wildnis aussetzen lassen, weil ein Orakelspruch voraussagte, sein Sohn werde ihn töten. Und so geschieht es. Der erwachsene Ödipus erschlägt bei einem Streit seinen ihm unbekannten Vater. Kurz danach befreit er die Stadt Theben von der Sphinx und der Pest und wird zum König gekrönt. Er heiratet Jokaste, ohne zu wissen, dass es seine Mutter ist, bekommt mit ihr vier Kinder. Als Theben eine neue Epidemie erlebt, macht er das Krisenmanagement zur Chefsache mit tragischem Ende. Jokaste erhängt sich, er selbst sticht sich die Augen aus. Schwager Kreon übernimmt die Macht.
Regisseur Ulrich Greb übernimmt eine antike Tradition und lässt sein Ensemble auf 20 cm hohen Stelzen agieren. Damit sind schnelle Gänge unmöglich. Die Sprache rückt ins Zentrum. In antikisierten Kostümen spielt das Ensemble im ersten Teil gradlinig mit nur kleinen rätselhaften Einschüben. Mal blubbert von unten eine grüne Flüssigkeit, mal regnet es von der Decke. Im zweiten Teil wird die Vorstellung symbolischer und warnender vor den Rückschlägen der Natur. In einer eindringlichen Szene zieht ein völlig desorientierter und verzweifelt brüllender Ödipus glischig-glibberige grüne Fäden aus einem offenbar verseuchten Wasser. Dazu singt die Schauspielerin Bob Dylans Anti-Atom-Lied „A Hard Rain’s a Gonna Fall“. Und ein Bote verkündet: Die Epidemie ist nicht verschwunden mit der Verbannung des Ödipus. Das tragische Schicksal des Menschen ist nicht von Göttern gemacht, auch wenn Kreon anderes hofft:
Das Ensemble in Moers ist gut aufgelegt und spielt Ödipus zunächst als klar erzählten Krimi, dann als surreale Warnung vor dem fatalen Umgang mit der Natur. Auf jeden Fall mit viel Raum für eine neue Interpretation des alten Mythos.