Übrigens …

Drei Schwestern im Mönchengladbach, Theater

Ein Leben im Wartestand

Die Regisseurin Dedi Baron inszenierte Anton Tschechovs 1900 entstandenes Stück Drei Schwestern am Theater Mönchengladbach. Olga, Mascha und Irina haben zum Namenstag der Jüngsten, Irina, eine kleine Gesellschaft geladen. Es ist ein Jahr nach dem Tod des Vaters, der vor langer Zeit als Kommandeur mit seinen Kindern in die kleine Garnisonsstadt kam. Der Überraschungsgast Werschinin, Oberstleutnant aus Moskau weckt bei allen drei Schwestern Sehnsüchte und mischt die Gesellschaft auf. Kommt er doch aus der Stadt, aus der sie stammen und in die sie sich so sehr zurücksehnen. „Nach Hause! Nach Moskau!“ Dedi Baron sieht in der Frage, was „nach Hause“ bedeutet, den Schlüssel zum Stück. „Ist zuhause ein Haus oder eine Energie?“ Sie glaubt, Moskau steht für den Ort, an dem man wachsen kann. Steckengeblieben in der Kleinstadt wird Moskau für die drei Schwestern immer mehr zum Sehnsuchtsort, wo alles gut sein wird.in ihrem momentanen Leben fühlen sie sich unterfordert, gehemmt durch die Lebensumstände, und sind doch voller Energie, die sie nutzen wollen. Olga, die Älteste (Esther Keil), ganz Mauerblümchen und besorgte Schwester, bleibt im Schuldienst, obwohl sie der Arbeit als Lehrerin überdrüssig ist. Mascha (Jannike Schubert) ist mit dem Lehrer Kulygin (Bruno Winzen) verheiratet und führt ein eintöniges Leben. Und Irina (Katharina Kurschat) träumt von Tatkraft und sinnvoller Beschäftigung. Alle drei können es kaum erwarten, dass ihr Bruder Andrej (Paul Steinbach) endlich Professor in Moskau wird und sie das Haus des Vaters verkaufen können, um gemeinsam die Provinz zu verlassen. Doch Andrej gründet mit Natalja (Carolin Schupa), einer ebenso tatkräftigen wie praktisch denkenden Frau, eine Familie. Und sie übernimmt das Regiment im Haus in Windeseile. Andrej hat jetzt eine Stelle in der Kreisverwaltung und die Professur rückt in weite Ferne. Die großen Hoffnungen und Erwartungen an das Leben aller Geschwister waren immer mit dem Umzug nach Moskau verbunden. Dieser scheint immer mehr zu einer „Fata morgana“ zu werden. So stürzt sich Mascha in eine Liebesbeziehung mit Werschinin (Adrian Linke), der wie sie unglücklich verheiratet ist. Irina probiert sich in verschiedenen Berufen aus, ohne ein zufriedenstellendes Resultat. Und will am Ende Baron von Tusenbach (David Kösters) heiraten, obwohl er nicht ihre große Liebe ist.
Dann kommt die Nachricht, dass das Regiment, die einzige Abwechslung im tristen Alltag, aus der kleinen Stadt abgezogen wird. Und die drei Schwestern bleiben zurück. Tschechov schildert, wie sie in Stillstand und Wiederholung verharren, gefangen sind in ihren zermürbenden Gedanken und Hoffnungen. Das Sehnen auf eine andere, eine bessere Welt vollzieht sich nur in ihren Gedanken, nie in der Praxis.

Zu Beginn sehen wir alle Figuren in malerischen Trachten, mit Kopfputz und großen Reifröcken, die sich auf einer Drehscheibe im Bühnenhintergrund wie unbewegliche Puppen im Kreise drehen. Vorne sitzt auf einem Stapel Matratzen die alte Kinderfrau Anfissa (Eva Spott) und liest uns eine Art Einführung in das Stück vor. Dann lernen wir die Schwestern kennen, die an diesem Namenstag von Irina noch voll Hoffnung in die Zukunft blicken. Werschinin tritt selbstbewusst auf und wird als Gast aus Moskau umschwärmt. Maschas Mann redet ständig von der Schule. Andrej gesteht Natalja seine Liebe und Baron Tusenbach Irina seine Zuneigung. Noch scheint alles möglich zu sein. In den folgenden drei Akten aber zeigt sich, dass die Hoffnung auf ein erfülltes Leben, auf eine erfüllte Liebe sich bei keiner der Schwestern erfüllt. Baron meint, es gehe in diesem Stück darum, was wir aus unserem Leben machen, „wie wächst man als Mensch“. Was wiederum eine Frage der sozialen Beziehungen ist.
Die Inszenierung beeindruckt durch ihre Bilder. So hängen die Reifröcke vom Beginn später wie große Lampenschirme vom Bühnenhimmel herab. Leichte Momente erleben wir, wenn die Darsteller in ihren Folklorekostümen zu moderner Musik tanzen. Und einen Bezug zum aktuellen Krieg in der Ukraine gibt es, wenn Michael Grosse als Direktor der Landverwaltung vom heutigen „Internationalen Theatertag“ schwärmt (er fiel mit dem Tag der Premiere zusammen), um dann auf den Angriff der auf das Theater in Mariupol zu verweisen, „Putins menschverachtende Barbarei“ anprangernd.

Ein Abend mit durchaus komischen Elementen, aber auch ein nachdenklich stimmender Abend. Die drei Schwestern sind nach dem Abzug des Militärs wieder allein: „Wir bleiben ganz allein, wir müssen von vorne anfangen.“ Die scheinbar nicht enden wollende Suche nach Heimat - ist es ein Zuhause oder ein Gefühl?-, und einem zufriedenstellendem Leben, geprägt von Trägheit, aber auch von nicht aufgebrauchter Kraft, geht weiter.

Dedi Baron kann sich auf ein exzellentes Ensemble verlassen. Das Premierenpublikum zollte zu Recht reichlich Beifall.