Kalt im Theater Gütersloh

Ausländerbehörde verliert Grundgesetz aus den Augen

Darf die staatliche Gewalt unterstellen, eine Ehe sei lediglich zum Schein geschlossen? Darf eben diese staatliche Gewalt in Grundrechte wie das der Unverletzlichkeit der Wohnung eingreifen, um die angebliche Scheinehe zu beweisen? Die Ehepartner ins Verhör über intimste Details ihrer Beziehung nötigen? Joachim Zelters im vergangenen Jahr am Theater Ansbach uraufgeführtes und zum Bayerischen Theatertreffen eingeladenes Zweipersonenstück bedrängt die aus obrigkeitlicher Sicht verdächtige Ehefrau des nach Deutschland geflohenen pakistanischen Staatsbürgers Faizan Muhammad Amir mit der Übergriffigkeit eines Ermittlers der kommunalen Ausländerbehörde. Bis in den letzten Winkel der vom Grundgesetz geschützten Privatsphäre. Im Studio des Theater Gütersloh steht die Atmosphäre des Ausgeliefertseins förmlich im Raum. Mitten in Deutschland liegen Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat unvermittelt in weiter Ferne. Zelter verarbeitet im Stück Erfahrungen seiner mit einem pakistanischen Staatsbürger verheirateten Schwester. Die Sprache zeigt sich mit Dürrenmatt vertraut, doch steht sie dem Pathos Rolf Hochhuths noch um einiges näher. Das Kammerspiel weitet sich zum Ideendrama. Regisseur Ramin Anaraki setzt auf Schauspielertheater. Christine Diensberg ist Julia Kaiser, Faizans Ehefrau aus dem akademischen, längst in den Niedriglohnsektor abgesunkenen Prekariat, Björn Jung der die misslichen Lebensbedingungen der Frau rüde übervorteilende Ermittler Anton Zöllner. Beider Hirne haben auf dem Fuß ausgiebige Zitate aus Grund- und Ausländergesetzen parat, überdies solche von Zentralfiguren der deutschen Geistesgeschichte. Hegels Staatsphilosophie schickt sich an, das aufklärerische Gedankengut Kants zu abzuhalftern. Gegen die Tendenz zum bloßen Thesenstück arbeiten Diensberg und Jung erfolgreich an, sie bleiben Menschen aus Fleisch und Blut. Ein Feueralarm im Wohnsilo bewirkt den Handlungsumschwung. Für Julia Kaiser gehören Flurbrände und Fehlalarme im Wohnsilo zum Alltag. Der Ermittler hingegen gerät in Panik, stürzt und verletzt sich. Beim Warten auf Feuerwehr und Krankenwagen überwindet Julia die Opferrolle, nimmt nun ihrerseits den lädierten Vertreter der Staatsmacht ins Verhör und setzt ihm argumentativ zu. So jedenfalls sieht es die Dramaturgie des Stücks vor. Die Absicht wird aber nicht eingelöst. Denn bald schon verliert Zelter die Thematik der vorgeblichen Scheinehe aus den Augen und ergeht sich in Allgemeinplätzen zur Asyl- und Flüchtlingsthematik. Dennoch halten Diensberg und Jung sich wacker und holen aus der Suada heraus, was immer möglich ist. Schon von daher ist die Produktion ein Gewinn.