A Stubborn Bear im Globe Theatre Neuss

Der Bär hat nichts hinzugelernt

Die Welt hat sich gewandelt, doch der sture, störrische Bär will es nicht wahrhaben. Es wird Winter, und in seinem Jagdrevier gibt es keine Fische mehr. Aber der Bär hält an seinen alten Essgewohnheiten fest, auch wenn er daran zugrunde zu gehen droht. Wohlmeinende Bär-Versteher scheitern mit ihren Ratschlägen. Da endlich nähert sich ein Fisch. Er ist riesig und hat eine furchteinflößende Finne. Wer wird nun wohl wen vertilgen? - So etwa geht es zu in Robert Sidney Bigelows Kinderbuch A Stubborn Bear aus dem Jahre 1970. Beim Safe Theatre aus Moskau ist es der russische Bär, der seine Gewohnheiten nicht ändern will. Er überfällt seine Nachbarn und Mitspieler und frisst sie alle auf. Ob ihm das guttut, sei dahingestellt, denn wir schreiben das 21. Jahrhundert und bei dem Bären handelt es sich natürlich um den Genossen Putin.

Das Safe Theatre Moskau war ein vor allem aus russischen und amerikanischen Schauspielerinnen und Schauspielern zusammengesetztes Ensemble, das auf der Grenze zwischen Physical Theatre, digitaler Theaterarbeit und Storytelling agierte. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine haben alle Mitglieder das Land verlassen. „Dear friends, it was nice to meet you. Goodbye!“, lautet der lakonische Facebook-Eintrag des russischen Schauspielers Mitya Zolotov vom 25. Februar dieses Jahres, dem Tag nach Kriegsausbruch. Erst zwei Monate später folgt der nächste Post. Zolotov steht nun auf der Bühne des Globe Theaters an der Neusser Rennbahn und klagt, dass „der Präsident meines Landes Menschen tötet.“ Sieben Mitglieder des in alle Himmelsrichtungen verstreuten Ensembles haben für das Shakespeare Festival Neuss nicht ohne Ironie und subversiven Witz einen assoziativen Abend über Shakespeares Villains und die aktuellen Schurken dieser Welt gestaltet. Auf der papierenen Projektionsfläche im Bühnenhintergrund werden pathosgetränkte Ausschnitte aus alten Shakespeare-Verfilmungen gezeigt; kurze Szenen aus „Macbeth“, „Romeo und Julia“ oder „Der Widerspenstigen Zähmung“ werden angespielt respektive filmisch oder musikalisch zitiert. Es wird ein Blick auf die verschiedenen Schurken Shakespeares geworfen und über Gehorsam und Autorität philosophiert sowie über die Möglichkeit des Menschen, sich aus einem Kreislauf von Gewalt zu befreien. Ein Puschkin-Gedicht wird in verschiedenen Übersetzungen präsentiert, was wiederum zu der (auf den ersten Blick ziemlich absurden) Frage führt, ob Shakespeare, wenn er nicht in Originalsprache gespielt oder gelesen wird, eigentlich noch Shakespeare ist. Gar so absurd ist die Frage nicht, wenn man die romantisierenden, die Derbheiten glättenden Übersetzungen von Schlegel/Tieck betrachtet. - Das alles geht wild durcheinander und wird von rockigen E-Gitarren und von tollen Songs der Sängerin und Schauspielerin Caro Brooks begleitet, die zum Dank dafür ebenfalls von dem von Regisseur Stephen Thomas Ochsner gespielten russischen Bären angefallen wird.

Gegen Ende erzählt die aus der Ukraine geflüchtete Katerina Nazemsteva ein ukrainisches Märchen in ihrer Muttersprache - der „Sprache der Freiheit“, wie sie etwas pathetisch formuliert. Sieben Minuten lauschen wir der der russischen Sprache so ähnlichen, aber scheinbar weicheren ukrainischen Sprache, ohne zu verstehen: Übersetzt wird nicht: Genauso ratlos wie das Publikum fühle auch sie sich heute, wenn sie sich ohne Kenntnisse der deutschen Sprache im fremden Land zurechtfinden müsse, sagt Nazemsteva. Nun, gar so schlimm ist’s nicht im Rund des Globe Theaters, denn Video-Animationen illustrieren Nazemstevas Vortrag. Ein pulsierendes Herz wird von einem russischen Dolch in zwei Teile zerteilt. Dann tauchen als Video-Projektion Bilder vom Neusser Festival auf. Aus der Dolchstoß-Wunde erwachsen blühende Landschaften, Bäume, Wälder und ein putziges Reh. Doch plötzlich verwandelt auch Bambi sich wieder in einen Teufel mit feuerspeienden Augen und scharfen Zähnen…

Nicht nur das Märchen, sondern auch die meisten übrigen Teile der englisch-, russisch- und ukrainischsprachigen Performance werden nicht übersetzt; einige deutschsprachige Erläuterungen wurden von der Neusser Kultur-Dezernentin Christiane Zangs eingesprochen und aus dem Off eingespielt. Da geht man als Zuschauer manchmal verloren. Aber die Botschaft der Performerinnen und Performer liegt ohnehin auf der Hand. Erkennbar ist A Stubborn Bear noch ein Work in Progress, dem noch einiges an Feinschliff fehlt und dessen Einzelteile noch nicht zu einem großen Ganzen zusammenwachsen wollen, doch die schmissige Performance hat Schwung und Atmosphäre und transportiert ihr Anliegen ohne Aggressivität. Ob weiter daran gearbeitet werden kann, steht in den Sternen. Nach den zwei Tagen in Neuss geht die Truppe wieder auseinander.