Übrigens …

Die Ratten im Neuss, Rheinisches Landestheater

Vergebliche Suche nach dem Glück

Die Idee des Dramas bestand aus dem Gegensatz zweier Welten“, schreibt Hauptmann 1911, als seine „Berliner Tragikomödie“ uraufgeführt wurde. Welche Welten? Schauplatz des Stückes ist ein heruntergekommenes Berliner Mietshaus. Das schwangere Dienstmädchen Pauline Piperkarcka will sich im Landwehrkanal ertränken, weil ihr Freund nichts von ihr und dem Kind wissen will. Frau John, deren eigenes Kind starb, überredet Pauline, das Kind zur Welt zu bringen und es ihr zu überlassen. Dem von seiner Arbeit in Hamburg zurückgekehrten Mann gegenüber gibt sie das Kind als ihr eigenes aus. Doch da will Pauline ihr Kind zurückhaben.
Die andere Welt: im Obergeschoss desselben Hauses lebt der verkrachte Theaterdirektor Hassenreuter, ein komischer Kauz, ein Mann der großen Geste, dem vom Theater nur noch sein verstaubter Fundus geblieben ist. Ab und zu erteilt er Schauspielunterricht.
Hauptmanns Tragikomödie verbindet diese beiden Welten, die bürgerliche Kunst-Welt und die proletarische Welt, in beiden klaffen Anspruch und Wirklichkeit immer wieder auseinander.

 

Tom Gerber brachte jetzt am RLT Neuss Hauptmanns Ratten auf die Bühne. Er führte nicht nur Regie, sondern zeichnete auch für Bühne und Kostüme verantwortlich. Zu Beginn tritt ein clownsartig geschminkter Leierkastenmann vor den roten Bühnenvorhang und spielt, bis das Saallicht erloschen ist. Im Laufe des Abends werden wir zwischen den Szenen ihn immer mal wieder sehen und hören. Als sich der Vorhang öffnet, sehen wir eine Art Gerüst, das sich quer über die Bühne erstreckt. Es gibt neben dem Erdgeschoss eine erste Etage und einen Dachboden. Leitern und Klappen ermöglichen den Auf- bzw. Abstieg. In seiner Schlichtheit ein gut gewähltes Ambiente für das ärmliche Mietshaus, das Hauptmann als Ort der Handlung wählte. Eine triste Zille-Hinterhaus-Atmosphäre ist nicht zu leugnen. Die Schauspieler berlinern alle akzentuiert. Mutter John (hervorragend: Katrin Hauptmann) kämpft wie eine Löwin um ihr – gekauftes – Kind und setzt dabei alle Mittel, Schmeicheleien wie auch Drohungen, gegenüber Pauline ein (Anna Lisa Grebe überzeugt als zunächst verzweifeltes, dann immer mehr an Selbstbewusstsein gewinnendes polnisches Dienstmädchen). Herrlich unterhaltsam und beeindruckend als selbstgefälliger Theaterdirektor Hassenreuter Carl-Ludwig Weinknecht. Ohne einen Funken Selbstkritik gibt er Schauspielunterricht, wobei er vorwiegend hohle Phrasen drischt und große Gesten liebt. Philippe Ledun ist äußerst komisch als Erich Spitta, der theaterbesessene Theologiestudent. Er will unbedingt Schauspieler werden und sieht das Theater als die Möglichkeit, sich zu profilieren. Ulrich Rechenbach gibt den bodenständigen Maurerpolier John, Stefan Schleue Bruno Mechelke, Jette Johns vorbestraften Bruder, einen schrägen Vogel, der auch vor Mord nicht zurückschreckt.
Tom Gerber ist großes Lob für Bühnenbild und Kostüme zu zollen -
so bebildern Projektionen menschlicher Silhouetten und von Ratten, auf der hellen Rückwand des Gerüsts effektvoll eine Gruppe, die einen Verbrecher jagt. Oder wir erleben Leute, die sich das Maul zerreißen.
Insgesamt sehen wir einen drei Stunden langen Abend mit intensiven Momenten und einer guten Ensembleleistung, die mit Bravo-Rufen und heftigem Applaus belohnt wurde.