Übrigens …

Dark Noon im Weltkunstzimmer Düsseldorf

The Settlers Won the Game

Das Publikum sitzt in drei Reihen rund um eine riesige rechteckige, leere Manege. Ein Motiv aus „The Good, the Bad, and the Ugly“ erklingt. Zwei Cowboys stehen einander zum Duell gegenüber. Beide fallen, in Zeitlupe. Sie sind die ersten von zahlreichen Toten an diesem Abend. Zwei schwarze Cowboys fallen in einem weißen Western. Denn Tue Biering, der weiße Regisseur aus dem dänischen Kopenhagen, hat seinen Western ausschließlich mit schwarzen Schauspielern besetzt. Die erzählen die Geschichte von der Eroberung des Wilden Westens. High Noon, gesehen durch die Augen einer schwarzafrikanischen Truppe aus Johannesburg und Pretoria. Und die entdeckt die Parallelen zwischen der Kolonialisierung und der cultural appropriation in ihrem eigenen Land und der in den Western Territories der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Geschichte, die jetzt beim Asphalt Festival in Düsseldorf gezeigt wurde, beginnt mit armen, ausgehungerten, weißen Europäern.

Arme, ausgehungerte weiße Europäer? Kaum vorstellbar, spotten die schwarzafrikanischen Schauspielerinnen und Schauspieler. Aber so war es tatsächlich: Arme, ausgehungerte weiße Europäer legten an den Gestaden der Neuen Welt an. Die schwarzen Schauspieler haben ihre Gesichter „whitefaced“ - eine demonstrative, fast kokett gespielte Geste. Blackfacing ist ja verboten; nun kriegen wir die alte Geste der kulturellen Appropriation heimgezahlt. Das tut nicht weh, denn wir spüren den Witz und die Ironie hinter dieser Aktion, so wie wir lange an diesem Abend lachen werden über den Humor und den oft slapstickartigen Witz dieser Aufführung, die hinter manchmal fast comicartigen Auftritten ihre gesellschaftspolitischen Anliegen und ihre Geschichtskritik verbirgt. Die weiß geschminkten Schwarzen stolpern mit letzter Kraft dem Land of the Free entgegen; die Lebensbedingungen auf dem Auswandererschiff waren unterirdisch, und bei der Immigration Control werden die ausgemergelten Gestalten noch einmal mit weißem Mehl beworfen, auf dass da bloß keine unerwünschten fremden Rassen ins Land kommen. Dann heißt es endlich: „Welcome to America!” Und: „It is God that led you to this place.”

Bigottes Amerika! Bald werden wir auch an die grausamen Christianisierungs-Bemühungen vieler Missions-Orden in Afrika denken, aber noch ist es nicht so weit. Gott führte die Einwanderer ins gelobte Land Amerika, aber er hat leider nicht für genügend Proviant gesorgt. Der Magen knurrt weiter, und so müssen die Einwanderer auf Eroberungsjagd gehen: Landnahme im unerforschten Westen. Es folgt eine lange Geschichte, kurzweilig erzählt. Die Siedler präsentieren den amerikanischen Ureinwohnern die offiziellen, gestempelten und beglaubigten Dokumente über ihren Landerwerb, was die Helden unserer Jugend aus den Stämmen von Winnetou, Tecumseh oder Sitting Bull wenig beeindruckt. So verschieden die Stämme sein mögen, so eint sie eine Überzeugung: „Nobody can own land.“ Man spielt also den Konflikt in einem American Football Spiel aus. Das Derby „Settlers vs Natives” gewinnen die Hausherren (also die Natives) haushoch. Was will man da machen, wenn man als weißer Siedler die Gegend zum Home of the Brave machen möchte? Da hilft es nur, die Gegner zu erschießen. Die bislang enthusiastischen Sportreporter stellen irritiert fest: The settlers won the game” - und schweigen von nun an betroffen.

Langsam, ganz langsam kippt auch die Atmosphäre der Aufführung. Über weite Strecken wohnen wir einer Art Bühnen-Comic bei, der aber stets mit einer dunklen Komponente von Gewalt einhergeht. In schneller Folge erleben wir den Zwang zur kulturellen Aneignung („Man muss ihnen das Rückgrat brechen. Sie müssen alles Europäische als besser anerkennen als das Eigene“). Früh schon kurvt der Coca-Cola-Verkäufer durch die Manege, der seine Dosen auch im Publikum feilbietet. Das gut aufgelegte, stets voller Witz und Ironie auftretende südafrikanische Ensemble wird ganz ruhig und ernsthaft, wenn es vom Massaker am Wounded Knee erzählt. Der Amerikanische Bürgerkrieg bringt nur scheinbar mehr Sicherheit. Der Goldrausch mit all seinen Folgen von Alkoholsucht, Depression und Prostitution wird thematisiert. NTV News bringt Nachrichten über Tausende von chinesischen Arbeitern, die zu Dumping-Löhnen angeheuert werden - die TV-Moderatorin wird für diese Nachricht erschossen. Die Kirche weitet ihre Macht mit bigotten Theorien aus und zieht den Armen noch die letzten Dollars aus der Tasche. Der Kapitalismus entsteht, und in den Städten herrscht nun erst recht das Gesetz des Dschungels.

Die leere Manege, um die herum wir Zuschauer uns am Anfang gruppiert haben, füllt sich während der Vorstellung. Die Eisenbahn wird gebaut, ein Western-Dorf entsteht - mit Kirche, Wohnhaus, chinesischem Restaurant, Gefängnis. Eine Bank-Filiale wird eröffnet - und natürlich gleich überfallen. Mehr und mehr bezieht die südafrikanische Truppe auf behutsame Weise das Publikum in ihre Performance ein. Wenn Sie Glück haben, dürfen Sie im Restaurant Platz nehmen oder mit den Schauspielern tanzen (es mag aber sein, dass die Tänzerinnen anschließend auch zu anderen Zwecken versteigert werden). Wenn Sie Pech haben, landen Sie in der Kirche oder im Gefängnis - der Rezensent fragt sich, was von beiden die größere Bedrohung darstellt. Die sympathischen südafrikanischen Raubeine gehen stets rücksichtsvoll und freundlich mit ihren Gästen um, aber sie demonstrieren am lebenden Objekt die Gesetze des Dschungels - und der Kolonialisierung sowie der Unterwerfung der Urbevölkerung. Sie tun das, indem sie sich die Geschichte der weißen amerikanischen Kolonialherren aneignen - und stellen damit gleichzeitig das Konzept der cultural appropriation zur Diskussion. Das comicartige Spiel in der Tradition afrikanischen Storytellings lässt manche Szenen ein wenig holzschnittartig wirken, sorgt aber andererseits dafür, dass die Aufführung trotz mehr als zweistündiger Dauer niemals die Aufmerksamkeit des Publikums verliert, zumal Show-Effekte wie Lassowerfen, Gesang und Tanz ihren Unterhaltungswert erhöhen, ohne von der politischen Intention abzulenken.

Am Schluss treten alle Schauspieler und die eine Schauspielerin noch einmal einzeln vor die Kamera, die ihre Gesichter in Großaufnahme auf einen Videobildschirm überträgt. Sie erzählen nunmehr ganz ernsthaft und eindringlich von ihren eigenen Gewalterfahrungen in Südafrika, in den Townships, auf der Straße. Von ihren Initiationserlebnissen: dem ersten Mal, als sie eine Waffe in der Hand hatten. Die Geschichte des Wilden Westens endete im Jahre 1890, als die vor allem von den europäischen Immigranten besiedelten Gebiete offiziell in das Staatsgebiet der USA aufgenommen wurden. Gewalt und Rassismus existieren bis heute. The Settlers Have Won the Game, in Amerika wie in Südafrika.