Die Tat erst gibt der Bosheit ihren Sinn - Othello weichgezeichnet
Mitten auf der Bühne liegt auf einem mächtigen Block die Zeichnung des Afrikanischen Kontinents im 19. Jahrhundert. Drei Offiziere des Deutschen Kaiserreichs stehen drumherum und planen einen Feldzug nach Südwestafrika, das nach der Berliner Konferenz 1884 Deutsche Kolonie wurde und wo jetzt ein Aufstand tobt.
Wir sind im Vorspiel zu Shakespeares Othello, the Moor of Venice, der in der Düsseldorfer Inszenierung der südafrikanischen Regisseurin Lara Foot nicht 1604 in Venedig und Cypern spielt, sondern zur Zeit des Kolonialismus in Europa und Afrika.
Ein zynisches Bild entsteht, wenn der Kaiserliche General während der Planung des Feldzugs in einem altmodischen Sessel mitten auf dem Afrikablock sitzt - ihn gleichsam mit Füßen tritt - und über das „Gezücht“ und „Barbarentum“ hetzt bevor er beschließt: „Wir jagen die Hyänen und ertränken sie in ihrem Blut“. Als „gestandener General“ für die Aktion erscheint ihm keiner „dienlicher“ als „Othello, der Schwarze“, der im Haus eines Englischen Missionars aufwuchs und „mutig für Staat und Land im Feld gekämpft hat“, gemeint ist das europäische „Vaterland“.
An dieser Stelle bricht der Afrikablock auseinander, eine ganz eigene Spur des Kolonialismus und Rassismus ist gelegt, bevor der erste Akt der Shakespeare’schen Tragödie ganz werkgetreu beginnt. Jago entlädt seinen Hass auf den abwesenden Othello, weil der ihn bei einer Beförderung überging. Wolfgang Michalek gibt diesem Bösewicht eine teuflisch–boshafte Eindimensionalität: er zerstört, was ihm ins Gehege kommt und weiht das Publikum jeweils vorab ein in seine diabolischen Pläne. Während er bei Shakespeare vor allem eifrig Intrigen und Ressentiments streut, andere manipuliert und anstiftet, wird er bei Lara Foot zum kalten Dreifachmörder: außer seine Frau Emilia (wie im Original) ermordet er noch Rodrigo (der zu viel weiß und ihm nichts mehr nützt) und schließlich – völlig am Original vorbei – Othellos Frau Desdemona. Damit verlässt das Eifersuchtsdrama seinen eigentlichen Plot und es stellt sich die Frage nach der Rolle des Titelhelden Othello.
Nach den rassistischen Tiraden des Brabantio, Othellos ungefragtem Schwiegervater, der von der heimlichen Hochzeit seiner Tochter mit „Othello, dem Afrikaner“ erfährt, und sein Kind für „verhext und missbraucht“ hält, erscheint Othello selbst in deutsch-kaiserlicher Generalsuniform. Er gesteht die heimliche Hochzeit, erklärt die große Liebe Beider und ist bereit, das Heer gegen die Kolonie zu führen: „Great Duke, I am at jour service“. Desdemona erscheint in langem weißem Kostüm im Stil der Jahrhundertwende, bestätigt Othellos Aussage und verfällt im Gespräch mit ihm in eine völlig fremde Sprache.
Lara Foot, die weiße Südafrikanerin, besetzt die Titelrolle mit dem schwarzen Südafrikaner Bongile Mantsai, einem profilierten Künstler seines Landes, der für die Spielzeit 2022/2023 als Artist in Residenz in Düsseldorf bleiben wird. Für die Inszenierung des Othello bedeutet das Dreisprachigkeit der Aufführung, einen immer wieder fließenden Wechsel zwischen Deutsch (in der Übersetzung von Erich Fried), Englisch und der indigenen Sprache IsiXhona, einer der Amtssprachen Südafrikas. Dabei werden die fremdsprachigen Texte deutsch übertitelt, gelegentlich aber auch deutsch nachgesprochen. Dieser Sprachenwechsel bildet das Fremd- und Anders-Sein eindrucksvoll auf einer ganz eigenen Ebene ab und macht es vielleicht zum zentralen Problem des Stücks.
Der erste Akt läuft dann relativ konventionell und werkgetreu ab, bis auf wenige Einschübe bleibt es beim Shakespeare’schen Text. An der Grenze zum Kitsch vielleicht das eingeschobene Gebet, bei Kerzenlicht kniend vom Helden auf Xhosa und Englisch gesprochen. Es folgt die Siegesfeier mit „Bumsfaldera“, zu der Othello interessanter Weise Distanz hält.
Nach der Pause begegnen wir einem völlig veränderten Othello: er sitzt Apfelsine kauend auf einem Bett, spielt dann ein fremdes afrikanisches Instrument. Das vorher eher phantasielose Bühnenbild erhält interessante Akzente: an langen Schnüren schwanken schwere Steine knapp über dem Boden oder herabhängende bemalte Äste schaffen ein afrikanisches Flair (Bühne Gerhard Marx). Jago hat seine Intrige erfolgreich gesponnen, hat das Gift der Eifersucht boshaft ins Ohr und Herz des Verliebten geträufelt, bis den „das grüngeäugte Scheusal Eifersucht“ mit Wucht erfasst hat.
Doch Lara Foot stoppt das grausame Spiel, lässt Othello nicht in blinder Leidenschaft morden, sondern lässt ihn zweifeln an dem im Stück vorgesehenen Ablauf. “Shall I do, what is written?“, fragt er sich und uns, steigt aus dem Shakespeare’schen Text aus, verlässt die Bühne, spricht am hinteren Saalausgang weiter, doch Jago holt ihn zurück: „Play your part, Othello. Do your job, man! Say, what is written!“ Noch einmal fragt Othello, ob er wirklich tun soll, was die Rolle ihm vorschreibt. Desdemona erscheint und beteuert abermals ihre Unschuld, erbittet eine halbe Stunde vor dem Tod, da greift Jago ein, fordert die Tat, doch Othello steigt endgültig aus: „I CAN’T, I WAN’T“. Jago ermordet Desdemona. Das Böse besiegt diese starke Frau, die schon im Original zu argumentieren weiß und in Düsseldorf die Ohrfeige ihres Mannes mit einem Schlag ins Gesicht des uneinsichtigen Ehemannes beantwortet. (Temperamentvoll gespielt von Pauline Kästner).
Das Spiel kehrt noch einmal zum Originaltext zurück, doch Lara Foot hat noch eine weitere wichtige Veränderung parat: nachdem Othello im Original erklärt, dass er alles nicht aus Hass, sondern um der Ehre willen tat, heißt es bei Bongile Mantsai, dass er alles so tat, wie es im Text für ihn geschrieben stand: „For nought I did in hate, but all in what was written in this text for me to say“. Dann trägt er die tote Desdemona bei leiser Musik durch die schwingenden Steine von der Bühne. Ein Knall! Die Steine stürzen zu Boden.
Licht aus. Othello lebt und in die Dunkelheit hören wir ihn rufen: „Bury me in Africa. Bury me here amongst my people!“ Dazu parallel übersetzt: „Beerdigt mich bei meinem Volk.“