Viel Lärm um schöne Bilder
Der gesamte Saal - inklusive Bühne - bildet eine große Blackbox, an Industriegebäude allerdings bleibt kein Erinnern.
Die Erwartung des Publikums ist hoch, da die als „Schauspiel“ angekündigte Produktion des spanischen Kollektivs El Conde de Torrefiel laut Programmheft gleich von zehn europäischen Festivals koproduziert wurde. Gestaltet – Text und Regie – wird die Aufführung von den Gründern des Kollektivs, dem Künstlerduo Tanya Beyeler und Pablo Gisbert, das seit 2010 für seine unkonventionellen Performances viel Anerkennung findet.
Der Bühnenboden ist bedeckt mit einem riesigen Bild voller farbiger Linien und Kleckse auf weißem Grund. Wenig später, wenn es von zwei Männern an der Bühnenrückwand hochgezogen wird, erkennt man, dass das Action-Painting à la Jackson Pollock ein in beiden Achsen symmetrisches Faltbild ist.
In gut lesbaren Lettern werden Übertitel eingeblendet: Lüge ist – Täuschung – Alles istInszenierung. Wörter und Satzfesten in Deutsch und Englisch setzen damit vage Themen des Abends: es wird um Realität und Fiktion, um Wirklichkeit und Täuschung, um Imagination und Träume gehen. Dann erst lesen wir: DAS STÜCK BEGINNT.
Eine Frau erscheint und betrachtet das Bild, dazu erfahren wir in der Übertitlung, dass eine Person gerade ein prähistorisches Bild aus der Höhle von Vetur betrachtet. In Ich-Form berichtet sie, dass es sich im Naturhistorischen Museum natürlich nur um eine Reproduktion handelt und einiges mehr über den Homo Sapiens des frühen Neolithikums. Es dauert einen Moment, bis mir klar wird, dass es nicht die Frau auf der Bühne ist, die uns da ihre Gedanken und Beobachtungen schriftlich mitteilt, und dass das Bühnenbild rein gar nichts mit der Höhlenmalerei aus der Jungsteinzeit zu tun hat. Auch den Gedanken, dass dieses Bild möglicherweise eine Spur heutiger Zeit in die Zukunft legen könnte, wie die Wandzeichnungen einst, verwerfe ich und komme zu der Erkenntnis, dass das Bühnengeschehen und die Textgeschichte schlichtweg zwei unterschiedliche Realitätsebenen sind. Ich beginne gerade Spaß an der Irritation zu finden, als ich eines besseren belehrt werde: zwei junge Männer betreten sich lautlos unterhaltend die Bühne, da erscheint der Inhalt ihres Gesprächs auf der Tafel und auch die Information „Sie lächeln sich an“ erklärt uns, was wir ohnehin sehen. Also doch eine Beziehung der Ebenen!
Ein Rauschen und Dröhnen aus dem Off begleitet das Geschehen und wird zunehmend stärker, während für das kollektive Lesen eine Wortkaskade über die Tafel rast, die manches mit Bezug zu den Figuren enthält, etwas irritierend aber endet mit dem Satz: „Wenn die Bombe fällt“.
Dann ist die gesamte Bühne mit knallroter, glänzender Plastikfolie ausgeschlagen und die Performer bewegen sich Einkaufswagen schiebend mit entschleunigten Bewegungen aneinander vorbei. Hin und wieder erkennt man eine pantomimische Geste, die zu der Entfremdung eigentlich nicht passt, uns aber die Illusion eines Supermarktes vermitteln will. Der Text beschäftigt uns mit Träumen und listet auf, welche Genies ihre Entdeckungen – wie Albert Einstein angeblich die Relativitätstheorie – im Traum fanden. Vieles wird angetippt, es geht um Realität und Fiktion, um Leben und Tod, um Formen in Natur und Künstlichkeit – wobei manche Behauptungen beim Faktencheck wohl nicht bestehen würden. Dabei wechselt der Text vom Erzählmodus in die Anrede per Du und schließlich ins ICH – und versucht so, jeden im Saal zum Protagonisten des Textes zu machen.
Irgendwann wird alles blau und die Performer umtanzen einen großen Goldzapfen, der in den Bühnenhimmel entschwindet. Der Soundtrack bringt mehr und mehr das Gestühl zum Beben, und das Publikum wird mit einem riesigen Strahler frontal geblendet, bevor das Ganze auf der Bühne in einen Tanz um ein künstliches Lagerfeuer mündet. Wozu der Text fragt: Wenn die Bombe fällt?
Bevor alles still und schwarz wird, erscheint die Frage des Abends: Was ist an all dem wahr?
Die Performer entrollen eine weiße Plastikrolle, die einer von ihnen durch die Performance trug: Alle greifen zu Farbflaschen, besprühen die Folie, falten sie dann fünfmal und hängen sie als Action-Painting-Werk an die Bühnenrückwand.
Das Publikum beklatscht neunzig Minuten sprachloses Theater.
Sie waren lang, diese neunzigMinuten, die uns wohl vermitteln wollten, dass nicht jeder Sinneswahrnehmung zu trauen ist, und dass auch unser Gehirn nicht verlässlich Realität, Fiktion und Träume voneinander trennt. Das wurde mit anregenden Szenen und eindrucksvollen Bildern wortlos auf der Bühne präsentiert, während die Texte eher oberflächlich und pädagogisch bemüht daherkamen. Statt des erhobenen Zeigefingers wäre etwas Humor oder Witz zu wünschen gewesen. So bleibt ein Sammelsurium banalen Allerweltswissens.