Tragisch komische Momentaufnahme einer gespaltenen Gesellschaft
Die slowenische Regisseurin Mateja Koleznik inszenierte Maxim Gorkis Komödie Kinder der Sonne auf der großen Bühne des Bochumer Schauspielhauses. Schon das ins Detail liebevoll konzipierte naturalistische Bühnenbild lässt die Betrachter aufmerksam hinschauen. Wir sehen eine altmodische Zimmerflucht mit Fenstern, mehreren Türen, einem Treppenaufgang und diversen Tischen und Stühlen und sonstigem Mobiliar, das verschiedenste Auf- und Abgänge ermöglicht. Sozusagen ein Guckkasten, der einen Blick in diese isolierte Welt des Bürgertums erlaubt.
Der Chemiker Pawel Protassow sucht unablässig nach dem Ursprung des Lebens: „Die Chemie forscht nachdrücklich nah dem Sinn des Lebens.“ Er ist der Prototyp des von sich überzeugten Wissenschaftlers, der behauptet: „Ich sehe, wie das Leben wächst.“ Ihn tangiert das Geschehen in der wirklichen Welt um ihn herum nicht. So vernachlässigt er auch seine Frau Jelena derart, dass sie beginnt, an ihrer Ehe zu zweifeln und sich einen Flirt mit Protassows Neffen Wagin, einem Künstler (in der Bochumer Inszenierung ist er ein Fotograf und Filmemacher), erlaubt. Die reiche Witwe Melanija (bei jedem Auftritt trägt sie einen anderen Pelzmantel) hat sich in den Professor verliebt und täuscht wissenschaftliches Interesse vor, um ihm nahe zu sein. Ihr Bruder ist der Tierarzt Tschepurnoi, der im Haus ein- und ausgeht und sich unsterblich in Lisa, die jüngere Schwester des Professors, verliebt hat. Lisa, die von sich sagt: „Ich bin ein Krüppel“, erlebt starke Stimmungsschwankungen und prophezeit den Untergang der Menschheit. Während diese Gesellschaft es sich im Kosmos der eigenen Befindlichkeiten gemütlich gemacht hat, wütet draußen die Cholera. Gerüchte machen die Runde, der Professor sei mit seinen Experimenten verantwortlich für Krankheit und Tod.
Koleznik gelang ein fesselnder Theaterabend. Nicht nur wegen der beeindruckenden Kulisse - so ein liebevoll konzipiertes Bühnenbild ist man heute gar nicht mehr gewöhnt -, nein, auch die Rollen sind auf den Punkt genau besetzt. Guy Clemens ist hervorragend als weltfremder Forscher, der nur seine Experimente im Sinn hat, steht zweifelsohne im Mittelpunkt. Unbekümmert von finanziellen Problemen, hat er doch inzwischen fast sein ganzes Vermögen der Forschung geopfert, denkt er nur an seine Versuche. Als der Hausbesitzer Awdejewitsch (Konstantin Bühler) ihm einen Deal für nicht gezahlte Mieten vorschlägt, versteht er gar nicht, worum es geht. Jele Brückner spielt Melanija sehr glaubhaft als vom Leben nicht gut behandelte Frau, die sich unsterblich verliebt hat. Anna Blomeier überzeugt als Jelena, die trotz der Tändelei mit dem in sie verliebten Wagin (Victor IJdens) noch ihren Mann liebt. Hervorragend Karin Moog als strenge, übel gelaunte Haushälterin, die nicht zimperlich im Umgang mit dem Dienstmädchen Fima (Amelie Willberg) ist. Dominik Dos-Reis ist der unglücklich in Lisa (Anne Rietmeijer) verliebte Tierarzt. Auch sie liebt ihn und dennoch kommen sie, wie alle Paare in diesem Stück, nicht zusammen.
Gorkis Komödie – in Bochum wird eine gekürzte Fassung gespielt – ist eine boshafte Abrechnung mit weltfremden Bildungsbürgern, die sich nur im eigenen Sumpf suhlen und denen die Gesellschaft egal ist.
Eine überaus dichte, gelungene und überzeugende Produktion, die vom Publikum zu Recht mit reichlichem Applaus belohnt wurde.