Übrigens …

Odyssee im Theater Paderborn

Unbehaust

Beklemmung vor dem Aufbruch nach Hause. Furcht vor dem Ankommen daheim. Zwar mögen dort Frau und Kind, Haus und Garten, Stadtbummel und Bowlingbahn warten. Doch nach zehn Jahren Abwesenheit lässt sich das keineswegs mehr als selbstverständlich voraussetzen. Heimat war dann einmal. Biersaufen in irgendeiner Hafenkneipe ist die verlässlichere Option. Zumal mit Ausblick auf die physischen Reize der Servicekraft hinter der Theke. Was immer sich eignet, um Odysseus und seine Mannen daran zu hindern, im heimischen Ithaka anlanden zu lassen, kommt gelegen. Ob nun die attraktive Königstochter Nausikaa, die Nymphe Kalypso, die Kyklopen und Sirenen und selbst der Abstecher in die Unterwelt. Auf Ithaka indessen bedrängen Penelope keine lästigen Freier. Längst hat sich die Königin ein Verhältnis mit einem Mann gesucht, der vor allem eines sein soll, ganz anders als der abwesende Monarch und Kriegergemahl. Der Geliebte ist Lehrer. Bildungsbeflissen und phantasiebegabt wartet der Schulmann - nachdem die Königin und er sich auf dem Rücksitz seines Kleinwagens geliebt haben - mit der Erzählung von Abenteuern auf, die Odysseus an der Heimkehr nach Ithaka hindern. In den Geschichten des Lehrers bleibt das Ragende des Mythos präsent, so dass Schimmelpfennig im vor ziemlich genau vier Jahren am Dresdner Staatsschauspiel uraufgeführten Stück gelingen kann, einzelne Episoden zu entheroisieren und zu verheutigen, ohne in Plattitüden abzusinken. Immer einmal wieder treten aus dem chorischen Sprechen Soli hervor, bisweilen werden gar Individuen kenntlich, etwa Odysseus, Penelope, der Lehrer und Nausikaa.

Judith Kuckart, renommierte Romanautorin, passionierte Stückeschreiberin und erfahrene Regisseurin, wartet mit einem komplett weiblichen Ensemble auf. Schwankend wie auf Schiffsplanken wiegen die fünf Frauen sich im Chor geradezu ins Stück hinein und formieren sich je nach Situation wie zur Schlachtordnung oder locker wie die Schar junger Frauen um die Phaiaken-Prinzessin Nausikaa am Meeresstrand. Kuckart profiliert die Figuren, wann immer Schimmelpfennig es zulässt. Penelope baut nicht auf den im Mittelmeer vagierenden Gemahl; guten Gewissens wendet sie sich dem Lehrer zu. Dieser kommt, obschon leidenschaftlich bei der Liebe auf dem Autorücksitz und sinnreich im Ersinnen von Geschichten, im Ganzen eher linkisch daher. Erhabene und zugleich anmutige Poesie bringt Eos, die Morgenröte, ins Spiel. Für das ihnen nur die schmale Fläche der Vorbühne bleibt. Denn bei Martin Rottenkolber bleibt der Eiserne Vorhang bis auf das Finale, bei dem es rot unter ihm her leuchtet, am Boden. Rottenkolber nutzt die stählerne Wand mitunter als Projektionsfläche für seine Videos. Sie zeigen den Kleinwagen des Lehrers, Meereswogen und ein längst verlassenes Haus. Rottenkolber, der auch die Kostüme verantwortet, steckt die Frauen in fesche Matrosinnenuniformen. Am Strand zeigen sie sich in Bikinioberteilen.

Die fünf Spielerinnen bilden ein homogenes Ensemble. Sie tragen keine Figurennamen, sondern sind lediglich durchnummeriert. In der Reihenfolge des Besetzungszettels bringen sich Johanna Malecki, Johanna Graen, Ulrike Fischer, Veronika Wider und Cornelia Schönwald chorisch präzise und sprachlich nuanciert ins Stück ein. Die geringe Spielfläche setzt ihrem Agieren Grenzen, die nicht auf ihr Konto gehen.

Viel Beifall im sehr gut verkauften Haus.