Der Senior entdeckt das Internet
Wenn der Vater mit dem Sohne ist eine Filmkomödie mit Heinz Rühmann von 1955; hier geht es um allerlei zwischenmenschliche Verwirrungen. Ähnliches passiert im neuen Stück Monsieur Pierre geht online, allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass Alex, der Freund von Pierres Theatertochter Sylvie, im wirklichen Leben der Sohn von Pierre ist. Und der wird gespielt von Christian Wolff; der sehr beliebte TV-Star wurde in der Premiere mit heftigem Auftrittsapplaus begrüßt. Er zählt inzwischen 84 Lenze und erscheint topfit; das muss man auch sein, wenn man über Monate (vorher bereits in Frankfurt und Düsseldorf) fast täglich dieselbe Rolle spielt. Und jedes mal mit dem eigenen Sohn. Ob das einer Vater-Sohn-Beziehung guttut, dazu müsste man ihn eigentlich mal fragen. Aber er spielt diese Altersrolle so hingebungsvoll und leichtfüßig, da kann man nur gratulieren.
Im aktuellen Stück ist er ein kauziger Witwer, der nicht mehr unter Menschen geht, sondern nur rumhängt, alte Familienfilme mit einem ebenso alten Projektor anschaut, immer dieselbe Jacke anhat und seine Mittagsmahlzeit verschimmeln lässt. Aber der sehr gerne und bei jeder Gelegenheit zur Flasche greift, was seiner resoluten Tochter Sylvie (köstlich: Simone Pfennig) gar nicht passt. Sie geht für ihn einkaufen und entsorgt nicht nur den stinkenden Abfall mit seltenen Pilzkulturen, sondern will dem Papa mit Hilfe eines ausrangierten Laptops das Internet schmackhaft machen – was dieser eigentlich nie wollte.
Den passenden Trainer dafür findet sie in Alex (resolut und energisch: Patrick Wolff), dem Freund ihrer Tochter Juliette (ganz entzückend: Eva Herrmann). Der ziert sich zwar zunächst, kann aber durchaus das angebotene Honorar brauchen, da er chronisch klamm ist. Und ist ein so guter Lehrer, dass Pierre nach kurzer Zeit die Dating-Portale für sich entdeckt – und prompt ein Profil von sich angelegt hat. Allerdings mit dem Foto von Alex und dessen Geburtsdatum. Auf welches prompt die reizende Physiotherapeutin Flora (Katarina Schmidt) anbeißt bzw. reinfällt.
Das Stück wurde 2017 mit Piere Richard (Der mit dem schwarzen Schuh) erfolgreich und mit vielen Einzelszenen verfilmt; die Übertragung auf die Bühne ist durch die Umbaupausen und Personenwechsel allerdings etwas mühsam. Vielleicht kann man hier mehr Drive hereinbringen. Aber die charmante französische Musette-Zwischenmusik hilft da schon drüber weg.
Bühnenbildner Tom Grashoff hat im Wohnzimmer von Pierre einen großen Bildschirm integriert, der parallel zu den jeweiligen Erzählungen und Skype-Telefonaten auch Bilder der Städte zeigt, ob nun Rom, Paris, Fernost oder Brüssel. Dort lebt die neue Internetfreundin Flora, die ihren interessanten und gutaussehenden Chat-Freund unbedingt persönlich kennenlernen will.
Dazu muss Pierre natürlich den Alex überreden, in seine Rolle zu schlüpfen. Die Fahrt in seinem Auto nach Brüssel und zurück ist entzückend als “Mitfahrer“ auf der Videowand zu erleben. Beim Date von Alex – alias Pierre – mit Flora geht es drunter und drüber, denn sie löchert ihn zu Situationen, die er gar nicht kennen kann; da gibt es richtig viel zu lachen und fein zu grinsen, wenn sich Alex geschickt herausredet.
Es kommt wie es kommen muss: Flora fährt verliebt nach Paris, trifft aber dann Pierre in der Wohnung, angeblich der Opa von Alex, der sich schon die berühmten blauen Pillen besorgen wollte. Es beginnt ein heiteres Versteckspiel mit einem umfangreichen Lügengebilde, mit feinen Zwischentönen, perfekt getimt, mit Witz und Herzenswärme; viel zu lachen, aber nicht lachhaft.
Wie das Gewirr entknotet wird, soll hier noch nicht verraten werden. Nur eines: Pierre hat sich auf sein Alter besonnen und eine neue Internet-Flamme erobert, diesmal mit richtigem Foto und korrektem Alter, die dann auch in voller Größe auf dem Bildschirm lacht: Marianne Rogeé.
Regisseur Horst Johanning ist ein „Altmeister“ des Boulevardtheaters und hat das Stück leichtfüßig und charmant auf die Bühne gebracht. Kein Theater für brüllendes Lachen und Schenkelklopfen, sondern eines mit feinsinnigem Humor.