Der Hässliche im Theater Paderborn

Fluch der Selbstoptimierung

Fachliche Hochkompetenz reicht nicht aus, wahre Erfolgsmenschen bedürfen des richtigen Gesichts. Das muss auch Lette erfahren. Der elektrotechnische Tüftler und gar Patentinhaber für einen neuartigen Stecker darf das von ihm ersonnene Produkt seiner höchst ungefälligen Gesichtszüge halber nicht der Öffentlichkeit vorstellen. Statt seiner soll des Erfinders Assistent die Präsentation übernehmen. Kaum hat auch Lettes Frau ihm eröffnet, sie sehe lieber an ihm vorbei als direkt in die Augen, konsultiert der beruflich wie privat Düpierte einen Schönheitschirurgen. Der nun verpasst ihm in einer kühnen Totaloperation ein völlig neues Antlitz. Mit frappantem Erfolg. Lette avanciert zur Augenweide - nicht allein von Chef und Gemahlin. Überhaupt ist ihm fortan die gesamte Frauenwelt zugetan,zuallererst die komplett aus den Händen der plastischen Chirurgie hervorgegangene Hauptauftraggeberin des Unternehmens, in dem Lette nun als Schönling und Premium-Mitarbeiter großzügige Saläre und Freiräume genießt. Doch das Blatt wendet sich. Der durch seine Operation zu Prominenz gelangte Schönheitschirurg verkauft Lettes Gesicht in Serie. Bald laufen ganze Kohorten mit des Elektroniktüftlers Visage durch die Gegend. Der Marktwert des Beaus sinkt rapide und ins Bodenlose. Seinen Job ist Lette bald los, ebenso die Gemahlin. Der Schönling muss sich als völlig austauschbar erfahren. Drohender Identitätsverlust treibt ihn an den Rand der Selbsttötung. Final aber willigt er in eine Ménage à trois mit der ihm ohnehin vertrauten und durch zahllose Eingriffe hergerichteten Dauergeliebten und Großunternehmerin sowie deren nun auch mit seinem Gesicht versehenen und ihn begehrenden Sohn.

Von Mayenburgs 2007 an der Schaubühne am Lehniner Platz uraufgeführtes Stück kommt als umgekehrter Molière daher: Die Titelfigur treibt ihre ungünstigen Eigenschaften und die mit ihnen verbundenen Marotten nicht aus sich selbst hervor, vielmehr nötigt sie gesellschaftlicher Druck zur Metamorphose in den Schönling und zur Raffgier samt skurriler Folgeerscheinungen. Hausherrin und Regisseurin Katharina Kreuzhage serviert die Studioproduktion zugleich leichthin und präzise. Die Pointen sitzen passgenau, nie aber missraten sie zu Schenkelklopfern. So gönnt denn Kreuzhage dem Publikum manches Zuckerl, aber keines zu viel. Bisweilen bleibt daher das Lachen im Hals stecken. Mit Ausnahme Lettes agieren die Spielenden in Doppelrollen. Kreuzhage lässt die Figuren nahtlos ineinander übergleiten, die Ehefrau in die betagte aber durch plastische Chirurgie jugendlich konservierte Dauergeliebte, deren Sohn in des Elektrotechnikers Assistenten, Lettes Chef in den Schönheitschirurgen. Für die Bühne genügen Ariane Scherpf einige Stühle samt elektrotechnischem Schnickschnack. Zudem für die Kostüme verantwortlich, steckt Scherpf die Personage in leicht ironisierte Mittelschichtsgarderobe.

Famos die Spielenden. David Lukowczyk ist Lette. Ob Hässlicher oder Schönling, bei Lukowczyk staunt Lette immerfort über seine jeweilige Befindlichkeit. Dem Elektroniktüftler eignet etwas Traumwandlerisches. Mag sein, eben das bewahrt ihn vor der Selbstentleibung. Lettes Chef Scheffler sowie dem Schönheitschirurgen verleiht Alexander Wilß jene Skrupellosigkeit, die Menschen nach Gutdünken und mit der größten Selbstverständlichkeit austauscht. Kai Benno Vos gibt Lettes Assistenten Karlmann und ebenso den Sohn der durch plastische Chirurgie designten Unternehmerin. Eben diese verkörpert Claudia Sutter mit trefflich auf die Spitze getriebener Vamp-Attitüde. Hinreißend auch, wenn Sutter in Gestalt von Lettes Gemahlin Fanny dem Elektroniktüftler die Hässlichkeit unverblümt attestiert, dabei aber nicht ohne Charme und Sympathie für den Angetrauten. Wie sie nach dessen Schönheitsoperation stolz und souverän als Hauptfrau im Harem agiert, um - sobald ein im Wesen angenehmerer Gesichtsträger seines Schlages auftaucht - Lette nonchalant in die Wüste zu schicken. Viel Beifall im ausverkauften Studio.