Sauna fürs Gehirn
Ferdinand Schmalz wurde 1985 in Graz als Matthias Schweiger geboren. Er wuchs in Admont in der Obersteiermark auf. Für sein erstes Theaterstück am beispiel der butter (2013) erhielt er den Retzhofer Dramapreis, Seine Stücke wurden mehrfach zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen.
der herzerlfresser wurde 2015 am Schauspiel Leipzig uraufgeführt. Während einer Zugfahrt erzählt ein Mitreisender Schmalz von Paul Reininger, der im 18. Jahrhundert als Knecht in der Steiermark lebte und dem Irrglauben verfallen war, durch den Verzehr von Frauenherzen unsichtbar werden zu können und Glück im Spiel zu haben. Dreimal tötete er deshalb Frauen. Schmalz lässt seine Geschichte im Heute spielen. Aus dem kannibalischen Frauenmörder wird bei ihm ein verzweifelter Mensch, der dem Irrglauben verfallen ist, man erreiche eine vollkommene Liebe der Herzen nur, nur wenn man diese isst, verdaut und zu einem großen Ganzen zusammensetzt.
Paul Steinbach spielt diesen Außenseiter, pfeil herbert, grandios. Lange Zeit steht er – wie eine Figur aus dem Wachsfigurenkabinett – unbeweglich, mit starren Gesichtszügen und stumm im Hintergrund. Erst zum Ende hält er einen langen Monolog. Zunächst trägt er stoisch seine verquasten Gedanken zur Liebe vor, wird dann aber immer heftiger, wenn er von der abgrundtiefen Liebe spricht. Nahtlos geht er zum Aufbrechen einer Sau über, der er das Herz entnimmt: „Zerstückelt ist der Mensch wie eine Sau.“ Die drei gefundenen Frauenleichen gehen auf sein Konto. Drumherum erleben wir das Spektakel, das der Eröffnung eines neuen Einkaufzentrums vorausgeht. Ronny Tomiska überzeugt als Bürgermeister acker rudi, der endlich mit dem Bau des Einkaufzentrums protzen und punkten will: „Wir müssen global denken.“ Unwichtig dabei, dass das Bauland Moor ist. Ihm zur Seite der gansterer andi (Cornelius Gebert), der zunächst nur ein „Wachorgan“ ist, dann aber als Komplize des Bürgermeisters eine bescheidende Karriere macht. Esther Keil glänzt als lebenslustige fußpflege irene, die das Schicksal eines Menschen in seinen Füßen lesen kann. Denn: „die Füße lügen nicht.“ Ihre Sehnsucht gehört dem Bürgermeister, denn: „Ich bin seine Bestimmung.“ Einer der vielen kongenialen Einfälle der Bühnenbildnerin Eva Lochner ist Irenes kleines Fahrzeug, das wie ein Fuß geformt ist. Die Bühne wird dominiert von Riesenfelsen, die an Stonehenge erinnern. Pfiffig auch ein Einkaufswagen, der sich in einer Ecke immer um sich selbst dreht. Carolin Schupa ist fauna florentina, eine scharfzüngige junge Frau, die immer ausspricht, was sie denkt.
Die Inszenierung lässt den Betrachter ständig neue Details entdecken, seien es Teile des Bühnenbilds (so das gelbe Warnschild „Achtung Leiche“, was sonst vor frisch gewischten Böden warnt), sei es das Luftballonherz, das florentina angesteckt hat, oder sei es die verfremdete Volksmusik (“Du bist nicht allein“). Die Schauspieler überzeugen alle durch ihr engagiertes Spiel. So bleibt der Zuschauer von Anfang bis zum Ende gefesselt. Ein sehenswerter und anspruchsvoller Abend.