Unerhörter Rücktritt
Zwei Päpste - ein Gedanke. Zu Beginn und am Ende von Anthony McCartens Die zwei Päpste wird ein Bischof von Rom gekürt und beiden fährt für einen Moment tiefer Schreck in die Glieder. Das scheint auf den ersten Blick aber auch schon das einzig Verbindende des kühlen Intellektuellen Joseph Ratzinger mit dem volksnahen argentinischen Kardinal Bergoglio zu sein. Und es ist eben jene scheinbare absolute Gegensätzlichkeit, die den Reiz ausmacht von McCartens Auseinandersetzung mit dem (fast) singulären Rücktritt eines Papstes vom Amt und einem Zusammentreffen mit seinem Nachfolger.
Im ersten Teil geht es vor allem um die Vorbereitung von gleich zwei Rücktritten. Während der argentinische Erzbischof sein Gesuch bei Benedikt XVI. eingereicht hat und auf eine Antwort wartet, sinnt dieser über seinen eigenen nach. Beide beraten sich mit Nonnen, die sie ins Vertrauen ziehen. Der Tonfall dieser Gespräche ist eher in leichterem Ton gehalten, der keine Erdenschwere aufkommen lässt, auch wenn es mal sehr ernst wird. Da wird auch schon mal ein klein wenig aus dem Nähkästchen geplaudert und es ist zu erfahren, dass Ratzinger gern die Fernsehserie „Kommissar Rex“ schaut und Bergoglio Tango tanzt. Jede Menge Lacher, die es auch im zweiten Teil gibt. Hier haben sie aber eher die Funktion, aufgebaute Spannung zu brechen und herunterzufahren. Denn McCarten entwirft eine fiktive Begegnung der beiden Männer, in der beide eigene Fehler und Ängste offenbaren und schließlich Achtung und Respekt für den Lebensweg des anderen entwickeln. Da gelingen sehr emotionale Momente, während derer man im Publikum die berühmte Stecknadel hätte fallen hören können.
Regisseur René Heinersdorff vertraut auf das gesprochene Wort, wägt Ernst und Komik fein ab und hält die Waagschalen da in sehr angenehmem Gleichgewicht. Er verzichtet auf viel Bewegung und die Bühne gestaltet er betont schlicht: Zwei barocke Sessel und ein alter Röhrenfernseher sind alles, was benötigt wird. Lediglich der Sinn der violetten Recamière erschließt sich nicht so recht. Nach oben ist viel Raum, dafür bildet ein Michelangelo-Fresko von Ann-Kathrin Otto auf dem Boden den Hingucker. Wenn ein Papst seinen Nachfolger trifft, steht die Welt eben Kopf!
Alles geht wohltuend ruhig vonstatten und so fokussiert sich die volle Aufmerksamkeit auf die Protagonisten: Andreas Weißert ist ein würdevoll agierender Benedikt mit einem Einschlag bajuwarischer Gemütlichkeit, der beginnt, Fehler einzugestehen, sich Gedanken um seine Nachfolge zu machen und zum Schluss kommt, dass ein gegensätzlicher Nachfolger vielleicht viele Dinge besser machen könnte. Weltliche Eitelkeiten beginnt er hinter sich zu lassen - bis auf die berühmten roten Schuhe.
Schuhe trägt natürlich auch der spätere Papst Franziskus - verschlissene Ledertreter, denen man ihr Alter ansieht. Jürgen Lorenzen gibt ihn vital, ideensprühend und nah an den Bedürftigen. Aber auch weniger entrückt als Benedikt: Für ihn läuft im Fernsehen eine Fußballübertragung. Umso glaubwürdiger sind Schuldgefühle wegen seines Verhaltens während der argentinischen Militärdiktatur.
Weißert und Lorenzen zeichnen authentische Figurenportraits, die ungeheuer für sich einnehmen. Sie werden ergänzt durch Ivana Langmajer und Rosana Cleve - „ihre“ Nonnen, die für sie durchs Feuer gehen würden.
Für den jüngst verstorbenen Benedikt XVI. ist Die zwei Päpste ein wohlmeinender Nachruf, der ihm sicher gefallen hätte. Für den amtierenden Papst Franziskus ein Aufruf, sich für die letzten Jahre seines Papsttums auf seine Ursprünge zu besinnen.
Die Begeisterung des Publikums im münsterschen Wolfgang-Borchert-Theater kennt keine Grenzen. Alle Beteiligten werden stürmisch gefeiert.