Das Leben oder der Tod – das ist die Frage
Caroline Stolz, seit der Spielzeit 2019/2020 Intendantin am TLT Neuss, brachte eine ganz eigene Fassung des berühmten Shakespeare Dramas auf die Bühne. Dieses Drama wurde schon auf unterschiedliche Weise interpretiert. Im Kern ist es jedoch eine Familiengeschichte, bei der skrupellose Machtgier dominiert.
Hamlets Vater, der König von Dänemark, ist auf mysteriöse Weise verstorben. Noch sind die Blumen auf seinem Grab nicht verwelkt, da heiratet seine Witwe, Königin Gertrud, dessen Bruder Claudius, der sich zum neuen Herrscher erklärt. König Hamlet sucht seinen Sohn Hamlet als Geist heim, verrät ihm, dass er von Claudius vergiftet worden sei, und ruft ihn auf, seiner zu gedenken und ihn zu rächen. Hamlet muss von nun an mit dem Auftrag seines Vaters leben und beschließt, auf eigene Faust zu recherchieren. Die Wahrheitssuche gestaltet sich schwierig. Handelte Claudius allein oder gab es Mittäter? Welche Rolle spielt der Staatsrat Polonius, ein enger Vertrauter des neuen Königs? Er versucht, Hamlets Zustand auf den Grund zu gehen, und setzt dabei seine Tochter Ophelia ein.
Hamlet konfrontiert seinen Onkel in einer wahnwitzigen Theatervorstellung mit seiner Schuld. Dieser gesteht daraufhin die Tat ein, allerdings nicht vor Zeugen, Gertrud stellt ihren Sohn zur Rede, Polonius belauscht das Gespräch und wird von einem rasenden Hamlet irrtümlich getötet. Nun soll dieser nach England geschickt werden, wo er umgebracht werden soll. Er durchschaut den Plan, überlebt und kehrt nach Dänemark zurück.
Caroline Stolz hat sich für ihre Neusser Fassung des Stoffes auf die aus den Fugen geratene Beziehungen der Königsfamilie konzentriert, die stellvertretend für die Gesellschaft steht.
Vor dem roten Vorhang liegt eine Krone am Bühnenrand. Der Vorhang öffnet sich. Ein sehr großer goldener Bilderrahmen in der Mitte der Spielfläche dominiert die Szene. Dahinter stehen die Mitglieder der Königsfamilie bzw. Polonius mit Sohn Laertes und Tochter Ophelia. Nach und nach treten sie an den Bühnenrand und werfen etwas Erde auf das Grab dort. Claudius (Carl-Ludwig Weinknecht) winkt huldvoll den Zuschauern zu. Hamlet (Benjamin Schardt) feuert das Publikum an, zu applaudieren. In der nächsten Szene erscheint der Geist von Hamlets Vater (Carl-Ludwig Weinknecht). Mit nacktem Oberkörper und weiß geschminktem Gesicht steht er hinter einem Spiegel. Er lässt Hamlet wissen, dass Claudius ihn vergiftet hat und wie er es getan hat. Hamlet lacht wahnsinnig und verflucht die beklagenswerte Ehe seiner Mutter: „Schwachheit, dein Name ist Weib.“
Im Laufe des Abends werden immer mehr verschieden große, goldene Bilderrahmen aus dem Bühnenhimmel herabgelassen. Eine Art Ahnengalerie vielleicht?
Benjamin Schardts Hamlet ist nicht wahnsinnig. Er spielt es nur, zutiefst zerfressen vom Zweifel an allem und jedem. So wechselt er zwischen Brüllanfällen und krampfartigem Lachen und cholerischen Attacken , z.B. vor Ophelia (mädchenhaft naiv Nelly Politt), Sie reagiert verstört. Zwischendurch läuft Hamlet durch den Zuschauerraum und plaudert locker mit dem Publikum. Schardt gibt ihn nicht als den wahnsinnigen Jugendlichen, eher als Erwachsenen, der nur noch an Rache für den ermordeten Vater denkt und dessen Verhalten seltsame Kapriolen schlägt. So isst er die Seiten eines Buches, singt Lieder („I had the time of my life“), wirft Konfetti - kurz benimmt sich zuweilen wie ein Star einer TV-Vorabendsendung. Dann wieder spricht er den berühmten Sinn-Monolog – Sein oder Nicht-Sein – durchaus ernsthaft und berührend von einer Seitentreppe des Zuschauerraumes aus. Weinknecht spielt überzeugend den machthungrigen Menschen. Im Gebet gesteht er seine Schuld ein, ja scheint sie sogar zu bereuen. Doch diese Phase dauert nicht lang. Gertrud, die Königin (Juliane Pempelfort), Polonius (Stefan Schleue), sein Sohn Laertes (Simon Rußig) und Hamlets Freund Horatio (Niklas Maienschein) – sie alle gehören zum Spiel, erscheinen aber mehr oder weniger als Nebenfiguren, da sich die Inszenierung vorwiegend auf Hamlet konzentriert.
Bühnenbild und Ensemblespiel sind zu loben, vor allem aber der herausragende Benjamin Schardt. Das Publikum spendete jubelnden Applaus.