Penelope – keine Heldengeschichte
Schlicht Odyssee betitelt der ukrainische Autor Pavlo Arie sein Stück, das er mit sieben Frauen und zwei Jungen aus der Ukraine und sieben Düsseldorferinnen zu einer Adaption des Homer’schen Mythos auf die Bühne bringt.
Homers Heldenepos berichtet in vierundzwanzig Gesängen von den Irrfahrten des Odysseus, König von Ithaka, der nach zehnjährigem Trojanischen Krieg weitere zehn Jahre umherirrt, bevor er nach vielen Abenteuern als Bettler verkleidet unerkannt heimkehrt. In parallelen Erzählsträngen wird von der Suche des Sohnes Telemachos nach dem Vater erzählt und schließlich vom gemeinsamen Kampf gegen die Freier, die Penelope, die daheim treuwartende Ehefrau des Odysseus, bedrohlich bedrängen. Dabei berichtet Homer nicht chronologisch, sondern arbeitet immer wieder mit Rückblenden, Einschüben und Perspektivwechseln.
In seiner ergreifenden Nachdichtung geht Pavlo Arie noch weiter, wenn er die zentralen Homer’schen Motive mit den Flucht- und Kriegsgeschichten vieler Ukrainischer Frauen verwebt. Dabei ist kein Mann auf der Bühne. Bei Aries Odyssee geht es um das Schicksal der Frauen. Sie alle warten. Warten auf ihre Männer, auf das Kriegsende, auf Antworten auf ihre Fragen. Das verbindet sie mit Penelope, die aber im antiken Opus keine Stimme hat, im Gegenteil wird selbst der heranwachsende Sohn Telemachos mit den Worten zitiert: „Die Rede ist Sache der Männer! Denn mein ist die Macht hier im Hause.“ Während das Gemeinsame mit Penelope für viele Frauen im Krieg des einundzwanzigsten Jahrhunderts immer noch in der Zumutung des großen Wartens liegen kann, erheben die Ukrainerinnen doch darüber hinaus selbstbewusst ihre Stimmen, sie klagen an, informieren, greifen ein. Auch an diesem Abend auf der Bühne des Schauspielhauses. Die meisten Berichte sind authentisch, entstammen Interviews mit Betroffenen oder sind autobiographische Erinnerungen und Erlebnisse. Alle Berichtenden sind Laien. Über hundert Ukrainerinnen waren dem Aufruf zum Casting gefolgt, die ausgewählten spielen mit unglaublicher Dringlichkeit und Empathie.
In die Collage erschütternder Frauengeschichten fügt sich die bewegende Liebesgeschichte zweier Teenager ein. Die Begegnung einer jungen Düsseldorferin (herzergreifend unglücklich verliebt: Alrun Göttmann) und einem jungen Ukrainer hat keine Chance, da der Junge mit der Mutter zurück in die Ukraine geht, um den Vater zu suchen (Telemachos-Motiv).
Die Bühne ist sparsam bestückt: Ganz oben auf der Rückwand erscheinen in großen Lettern die Hinweise auf die Homer’sche Vorlage wie: Die Eifersucht der Penelope oder am Ende: Penelope wartet 20 Jahre. Davor eine hohe Zwischenwand, auf der mal Videos, vor allem aber die Übertitel erscheinen, denn das Stück ist zweisprachig, da kann es schon mal anstrengend werden, Spiel und Text im Auge zu behalten. Auf der linken Seite überrascht ein großer Spiegel über einem Waschbecken als Kamera, die was auch immer sie reflektiert, als Live–Video groß auf die Wand wirft. .
Gleich zu Beginn erscheint Wladimir Putin in Großaufnahme, wie er am 24. Februar 2022 seine „spezielle militärische Operation“ ankündigt und zynisch erklärt, dass er „die Entnazifizierung der Ukraine beschlossen“ habe. Es folgen Frauenschicksale, mal einzeln, mal im Chor vorgetragen. Die Musikerin Vasylysa Furmanova aus Kiew hat ihr Instrument ins Exil gerettet, ihren Bericht über die Fahrt im überfüllten und überhitzten ICE „2402“ – die Nummer aller Züge ins Exil - begleitet sie mal mit schrillem Pop, mal zusammen mit Oleksandra Dolobovska mit schwermütig klagenden Klängen. Dafür gibt es Szenenapplaus und an anderer Stelle, wenn sie Hunde und Katzen besingen, auch mal herzhafte Lacher im ausverkauften Saal.
Nicht nur von Verlust, Trauer und Sehnsucht berichten die Frauen, auch von aktivem Einsatz als Sanitäterin, Hundeführerin oder Soldatin. Die Düsseldorferin Kristina Kast-El Scheich übernimmt den ergreifenden Part einer Frontkämpferin, die unter starken Beschuss geriet und in einem Kellerloch einen Granatenbewurf überlebte.
Dann wird es still. Drei Frauen berichten im Dämmerlicht von erlittenen Demütigungen und Vergewaltigungen. Penelope als Opfer. Hart bis an die Grenze des Erträglichen. Die anschließend noch eingesammelten Beispiele für Frauendiskriminierung sind dann aber doch Zuviel des Bösen.
Ansonsten gelingt es dem ukrainischen Regisseur Stas Zhyrkov überzeugend, die Sache der Frauen in den verschiedenen Handlungssträngen und Textsorten auf die Bühne zu bringen. Unglaublich, mit welcher Intensität und Eindringlichkeit das wunderbare Laien-Ensemble unter der professionellen Führung agiert.
Das ukrainisch-deutsche Publikum dankte mit kräftigem Applaus.