„Eine Grenze hat Tyrannenmacht.“
Schillers Schauspiel Wilhelm Tell wurde 1804 in Weimar uraufgeführt und gehört zu den Klassikern auf der Bühne. An diesem Stück ist historisch wahr und begründet nur der Kampf des Schweizer Volkes um seine Freiheit gegenüber bedrückenden Reichsvögten, die vom Kaiser des Heiligen Römischen Reiches als seine Vertreter in die Urkantone entsandt wurden. Hierzu wurden Mitglieder des österreichischen Hauses Habsburg ernannt, die ihre Macht fürchterlich missbrauchten. In Schillers Drama ist es Hermann Gessler, dessen Grausamkeit und Willkür keine Grenzen kannten. Schiller greift in seinem Werk auf den historischen eidgenössischen Bund zur Befreiung der Schwyz zurück, Nationalmythos und Rütlischwur einbezogen. Im Mittelpunkt steht der Mythos um den Titelhelden Wilhelm Tell, samt Apfelschuss und Tyrannenmord. Ein dritter Handlungsstrang bezieht die Liebesgeschichte von Berta von Bruneck (Blanka Winkler) und Ulrich von Rudenz (Kilian Ponert) ein.
Roger Vontobel, früher Hausregisseur in Düsseldorf und Bochum, ist selber Schweizer. Für seine Inszenierung hat er einen neuen Blick auf das Drama gewählt. Die zentrale Frage bleibt: „Wie stark muss ein Druck anwachsen, bis sich Menschen entschließen, sich zur Wehr zu setzen? Welche Konsequenzen bringt das unweigerlich mit sich?“ Seine Fassung ist eine kompakte Version des Originaltextes, konzentriert auf die Kernszenen und wesentlichen Dialoge des Originals. „Es ist eine größere, universellere Geschichte über Menschen aus verschiedenen Ländern die sich verhalten müssen zu einem Mechanismus der Unterdrückung“, so Vontobel. Er lässt in seiner Version Gertrud Stauffacher eine führende Rolle bei den Aufständischen spielen. Im Original ist es ihr Mann. Der aus Südafrika stammende Bongile Mantsai spielt den Walther Fürst. Er spricht den Text auf Englisch. Und das funktioniert bestens, betont es doch den universellen Charakter des Werkes. Vontobels Blick auf das Wesentliche, immer Gültige wird unterstützt und verdeutlicht durch Olaf Altmanns fantastisches Bühnenbild. Er unterteilt die Bühne in zwei Ebenen durch einen von oben an Stahlseilen herabgelassenen zweiten Boden. Ein klug gewähltes Bild für die Zwei-Klassen-Gesellschaft. Oben stolziert Gessler im goldenen Anzug (herrlich arrogant und maliziös: Heiko Raulin) hin und her. Im unteren dunklen Bereich sehen wir zu Beginn die unterjochten Schweizer Bürger, die kaum Raum finden, aufrecht zu gehen. Unter ihnen Gertrud Stauffacher aus dem Kanton Schwyz (hervorragend Sonja Beißwenger), die nicht nachlässt, Verbündete zu sammeln, um den Tyrannen aus dem Lande zu treiben: „Eine Grenze hat Tyrannei.“ Unterstützt wird sie von dem Unterwaldner Bauern Arnold vom Melchtal (Jonas Friedrich Leonhardi) und Walther Fürst (Bongile Mantsai) aus Uri. Zu dritt werben sie in ihren Kantonen um Bundesgenossen. Den Willen zum Widerstand beeiden sie mit dem Rütli-Schwur.
Gleich zu Beginn tritt blutverschmiert Konrad Baumgarten (Glenn Goltz) auf, der den Burgvogt von Unterwalden mit der Axt erschlug, weil dieser sich an seiner Frau vergehen wollte. Nun flieht er vor den Soldaten. Ein Überqueren des Sees scheint wegen eines aufkommenden Sturms unmöglich. Da kommt Tell (Florian Lange) als Retter in der Not. Wie den ganzen Abend wird auch in dieser Szene die Stimmung durch die Musik der am Bühnenrand sitzenden Band effektvoll unterstützt.
Florian Lange gibt Tell als wortkargen Mann Ganz zu Beginn steht er stumm allein mit seinem Bogen auf der Bühne. Nebel wallen. Dann erleben wir ihn als Retter von Baumgarten, später als fütsorglichen Familienvater. Minna Wündrich gibt seine Frau Hedwig, Kassandra Giftaki seine Tochter. Eine heile Familie. Dann wird die 2.Ebene schräg nach oben geführt. Ganz oben der Hut Gesslers auf einer Stange, der von jedem zu grüßen ist. Gessler, überzeugt von seiner Macht, mahnt Tell, seinem Befehl zu folgen. Da Tell schweigt, soll er einen Apfel vom Kopf seines Kindes schießen. Lange überzeugt mit der ergreifenden Darstellung seines emotionalen Konfliktes, der Angst, sein Kind zu töten: Dennoch: der Schuss gelingt.
Am Ende sehen wir ihn oben auf der schrägen Ebene kauern, nachdem er Gessler mit einem zweiten Pfeil getötet hat. Schuldbewusst sieht er sich als Mörder, auch wenn er einen Tyrannen tötet. Die Gerechtigkeit steht auf seiner Seite, aber er wurde zum Täter wider Willen. Vontobel spricht vom Gegenteil eines Helden, er nennt ihn sogar ein Opfer.
Insgesamt ein mehr als beeindruckender Abend mit einem exzellenten Ensemble, einem formidablen Bühnenbild und einer klug gesetzten musikalischen Begleitung. Standing Ovations zu Recht.