Hitler als Schoßhund
Hat sie oder hat sie nicht? War sie nur befreundet mit Adolf Hitler oder war da noch mehr? War sie eine politische Aktivistin oder nur eine Künstlerin mit Tunnelblick? Die Wahrheit über Leni Riefenstahl– wer kennt sie schon? - Unpolitisch sei sie zeitlebens gewesen, sagte die große Filmemacherin, nur an der Kunst interessiert. Hitler habe sie als Persönlichkeit fasziniert, aber nicht als Politiker, nicht als Mann. Inszeniert hat sie ihn und seinen nationalsozialistischen Größenwahn dennoch großartig, in „Triumph des Willens“ beispielsweise, dem Propagandafilm über den Nürnberger Reichsparteitag des Jahres 1934, der mit damals ungekannten innovativen filmischen und ästhetischen Mitteln arbeitete, im Olympia-Film über die Berliner Spiele von 1936, dessen Pathos den Schreiber dieser Zeilen in den 1960er Jahren im bundesdeutschen TV faszinierte, als Pathos noch erlaubt, der Rezensent noch im Unschuldszustand des Kindes und manch alte Nazigröße noch in den Sesseln der Macht war. Leni Riefenstahl – eine herausragende Künstlerin war sie zweifellos, eine Innovatorin auf dem Gebiet ihrer Kunst, und eine große Inszenatorin ihrer selbst. Jetzt inszeniert sie am Theater Oberhausen die Wahrheit über sich selbst, wenn man John von Düffels Titel glauben soll. Sie schafft inszenierte Wahrheit, so wie sie es ihr ganzes langes, aber kurzweiliges, 101 Jahre währendes Leben lang getan hat. Ob sie die reine Wahrheit über sich selbst gekannt hat? Ob sie unterscheiden konnte zwischen der Selbstinszenierung, die ihr ja nach dem Ende der Nazi-Herrschaft einen Schutzschirm bieten musste, und der Wahrheit über ihr Denken und Handeln unter dem Unrechts-Regime?
Man weiß es nicht. Die Riefenstahl hat ihre Geheimnisse mit ins Grab genommen, und weder John von Düffels Text noch Kathrin Mädlers Inszenierung versuchen ihnen auf die Schliche zu kommen, auch wenn sie ihre Leni mit einer Dame konfrontieren, die Beweise dafür gefunden haben will, dass die Regisseurin, die für ihre Verfilmung von Hitlers Lieblings-Oper „Tiefland“ unzählige Sinti und Roma aus den Konzentrationslagern als Statistinnen und Statisten einsetzte, gewusst habe, dass diese nicht nur keine Gage erhielten, sondern in der Mehrzahl später in Auschwitz ermordet wurden. Von Düffel und Mädler erzählen, was man weiß – nicht mehr und nicht weniger. Und sie erzählen das auf eine ausgesprochen kabarettistische Art und Weise, die mal was von einem ironisierten Biopic und mal was von einer Revue hat. Das kann man unterhaltsam finden oder auch fragwürdig – für beides gibt es Gründe. Über das Böse zu lachen, hat immer etwas Befreiendes. Blöd ist nur, wenn einem beim Lachen mit der Zeit langweilig wird.
Es sind gleich drei Lenis, die im Theater Oberhausen auf der Bühne stehen, drei Lenis im gleichen feuerroten Kleid, mit der gleichen strahlend blonden Frisur, aber in unterschiedlichem Alter. Maria Lehberg als die junge Leni tanzt noch ein wenig naiv über die Bretter, die für die junge Schauspielschülerin vielleicht so sehr die Welt bedeuten wie es die Filmleinwand für die Riefenstahl tat, aber sie lässt schon die Anlagen zu einer durchsetzungsstarken Persönlichkeit erkennen, die keine Angst vor den Mächtigen hat. Ronja Oppelt ist die mittlere, die Diva, manchmal zickig, gern im Pelzmantel herumspazierend. Die Aufmerksamkeit des Publikums aber verdient sich vor allem die alte Leni. Wenn Anke Fonferek vorn rechts am Bühnenrand sitzt, dann erzählt sie ihre Wahrheit. Dann korrigiert sie, begehrt auf gegen die vermeintlichen Lügen, die die Nachwelt über sie in die Welt setzt, und bastelt an ihrem Selbst- und Fremdbild. Eine Kamera zoomt ihr zerfurchtes, stark geschminktes Gesicht in Großaufnahme nah ans Publikum: Die großartig aufspielende alte Dame (in Wahrheit ist Fonferek im besten Alter und muss besonders auf alt geschminkt werden) versteht es längst, sich ins rechte Bild zu rücken.
Das versucht die junge Leni – hier ist die Aufführung wie in vielen Szenen dokumentarisch – mit Fanpost an den Führer, damals, 1932, als er noch nicht Führer war, aber die junge Frau mit seiner Polemik im Berliner Sportpalast begeisterte. Und der Führer… trifft sich mit ihr: in Horumersiel, was wohl der Wahrheit entspricht, und auf den Alpengipfeln, wo Adolf die Kameradin der Berge anschmachtet, scheue Küsse, Bruno-Ganz-Hand auf dem Rücken und Horst-Schlämmer-Grunzen beim Lachen über die eigenen flachen Witze inklusive. Auch Hitlers gibt es übrigens zwei, wobei sich der Grund dafür nicht so ganz erschließt, denn Karikaturen sind beide. Wenn sie als Schoßhunde vor der begehrten Leni kauern und mit den Pfötchen Unterwerfungsgesten machen, darf das Publikum aufatmen: Schlimmer werden die Albernheiten nimmer. Torsten Bauer erledigt die Hitler-Veralberung ein wenig differenzierter als Philipp Quest, wobei die Unterschiede marginal sind. Beide haben noch andere Rollen, in denen sie überzeugender als Karikaturen auftreten: Philipp Quest zum Beispiel als von Frau Riefenstahl ziemlich fies in die Ecke gestellte Magda Goebbels, und Torsten Bauer als höchst witziger, aber mitleidloser, unempathischer Riefenstahl-Assistent „Harry“ Harald Reinl. Josef Goebbels gibt’s nur einmal: Jens Schnarre blitzt bei Leni ziemlich brutal ab, aber der Propagandaminister und Herr über die nationalsozialistische Filmindustrie hat die Macht. Schnarres Spiel soll insinuieren, dass Leni Riefenstahl möglicherweise ein klassischer MeToo-Fall war, aber so recht traut man dem eher brav gespielten Mann die Durchsetzung sexueller Interessen gegen die starke Persönlichkeit der Riefenstahl nicht zu.
Das Problem ist: Richtig gefährlich wirken diese Figuren in der allzu unterhaltsamen Inszenierung alle nicht. Gut, da wird einmal Klartext gesprochen, als Riefenstahl den „größten aller Regisseure“, den Juden Max Reinhardt ins Spiel bringt, der das Reich schnell verlassen muss; Adolf Hitler erscheint auf einem Plakat anlässlich der Olympischen Spiele in Berlin einmal in Putin-Pose mit nacktem Oberkörper und Nazi-Fahne, und die – längst erfolgreiche und unangreifbare - Riefenstahl demonstriert eindrucksvoll, wie das mit dem Machtmissbrauch durch Regisseure beim Film oder im Theater funktioniert. Nach der Pause versuchen Autor und Regie mit der Konfrontation von Riefenstahl und Nina Gladitz, der Dokumentarfilmerin, die Beweise für die Verstrickung von Riefenstahl in die Nazi-Machenschaften im Zusammenhang mit der „Tiefland“-Inszenierung gefunden hat, sowie mit der überraschenden Verteidigung der Riefenstahl durch Alice Schwarzer mehr Schärfe in die Aufführung zu bringen, aber der Ton ist einmal gesetzt: Es ist der Ton der Revue, der Show, der Karikatur. Philipp Quest hat als Darsteller der – ernsthaften, wütenden - Nina Gladitz keine Chance, sich gegen diesen Ton durchzusetzen und vermag kaum Sympathien für die wichtigen Positionen seiner Figur zu wecken, zumal die Fernsehshow, in der die Konfrontation stattfinden soll, erneut hemmungslos veralbert wird.
Selbstverständlich versteht man, worum es John von Düffel mit seinem ironischen Biopic geht. Stundenlang kann man über die alte Frage diskutieren, inwieweit man die Bewertung eines Künstlers von seinem politischen und moralischen Handeln trennen darf. Auch handelt der Abend von Verdrängung, vom Umgang mit Schuld, von der für die Mitläufer des Systems vielleicht überlebenswichtigen Panzerung gegen Erinnerungen und gegen die emotionale Erschütterung durch offensichtliche Fakten. Er stellt zudem die so interessante wie überraschende Frage, ob die auf der Seite der Täter stehende Riefenstahl nicht auch ein Opfer war. Betroffenheit löst der Abend allerdings nicht aus. Das war wohl auch gar nicht gewollt…