Mal so richtig Komödie!
Es ist Molière-Jubiläumszeit: letztes Jahr 400jähriges Geburts-, dieses Jahr 450jähriges Todesgedenken. Leander Haußmann lässt sich ganz und gar ein auf den großen Schöpfer der französischen Komödienkunst, insbesondere der Charakterkomödie, vertraut seinem Wortwitz und allen Windungen der Handlung. Dabei gibt es durchaus gelegentlich Hinweise auf die Commedia dell‘ Arte, die derb-komische Farce oder virtuosen Slapstick (davon vielleicht sogar ein bisschen viel.)
Den Plot übernahm Molière vom Werk Aulularia des römischen Komödienschreibers Titus Maccius Plautus, der schon im 2./3.Jahrhundert v. Chr. die Figur des geizigen Euclio schuf, der nervös-misstrauisch seinen Goldtopf bewacht, den er am Ende allerdings seiner Tochter Phaerdria als Mitgift vermacht. Diese Befreiung aus der verstockten Sturheit gewährt Molière seinem Geizhals allerdings nicht, doch auch bei ihm kommt die Liebe am Ende zu ihrem Recht.
Die Proben zur Aufführung des Thalia begannen am 15. März 2020, gerieten dann in die Lockdown-Sperrungen, die auch für die späteren Aufführungen teilweise noch galten. Ein Glücksfall war es da, dass zumindest die schmeichlerischen Annäherungen der Intrigantin Frosine an den Geizhals Harpagon ganz ohne Zurückhaltung gegeben werden konnten, da die beiden grandiosen Mimen Jens Harzer und Marina Galic auch im wirklichen Leben ein Paar sind. Zurückgeblieben aus dieser tristen Bühnenzeit ist allerdings die tiefe, schwarze völlig leere Bühne, auf der nur fünf karge Glühbirnen leuchten, sie brannten ununterbrochen auch während des Lockdowns (ein Zeichen theatralischen Aberglaubens).
Aus der Tiefe der dunklen Bühne hört man ein unappetitliches Altmännerhusten. Vorne erscheinen zwei junge Menschen, Kinder des Hauses, die sich ihre unglücklichen Lieben gestehen und auf gegenseitige Hilfe hoffen: Elise im transparenten Plissee-Hängerchen (herrlich naiv gegeben von Toini Ruhnke) und Cléante (dümmlich unreif gespielt von Steffen Siegmund). Die Auserwählten Beider scheinen ohne Vermögen zu sein und können deshalb die Akzeptanz des Vaters mit Sicherheit nicht erwarten. Und in der Tat hat der bereits andere Verbindungen für sie geplant. Darin liegt schon ein Gutteil des Komödienstoffs.
Dann drei Pistolenschüsse aus dem Hintergrund und schnaubend, hinkend taucht der Star den Abends auf. „Wir müssen ihn abgrundtief hässlich machen“, hatte Haußmann bei der Planung vorgegeben, und das ist gelungen. Jens Harzer, kaum über fünfzig, seit 2019 Träger des Ifflandrings, mimt die Hauptfigur als hässlichen Alten mit Überbiss, Schnäuzer und Bürstenhaarschnitt. Den Körper gekrümmt mit Buckel und Schlabberbauch, um den herum auch die Hose schlabbert und ständig mit dem lockeren Gummi in Form gehalten werden muss. Die Verwicklungen nehmen ihren Lauf, für Slapsticks und Kampfszenen gibt’s Szenenapplaus und immer wieder lautes, herzhaftes Gelächter. Harpagon/Harzer tritt mal aus der Rolle, spricht das Publikum an, beklagt Durst und die Anstrengung, „wegen der Titelfigur“ für zwei Stunden Lacher sorgen zu müssen, erhält Wasser von der Souffleuse und geht zurück in die Rolle.
Unter Bühnenschnee folgt sein großer Monolog. Die im Garten vergrabene Geldkassette wurde gestohlen. „Mein Geld, mein einziger Freund, mein treuer Freund“, jammert er, zieht sich dabei aus, legt die Polster ab, grausig-komisch windet er sich, wendet sich ans Publikum – das Saallicht geht an – vermutet da Mitwisser oder gar Täter, alles umsonst. „Da hänge ich zum Schluss mich selber auf“, resigniert er und verschwindet im Bühnendampf. Der Eiserne Vorhang kommt runter und wir werden am schmalen Bühnenrand durch eine burlesk-bizarre Vater-Sohn- Manipulation unterhalten.
Dann Vorhang hoch und siehe da: Aus dem dunklen Bühnenraum ist eine barocke Treppenkulisse geworden und alle erscheinen in höfischen Kostümen und aufgetürmten weißen Perücken. Sie purzeln die Stufen runter, gestikulieren, stolpern, winden sich akrobatisch: ein bisschen viel Klamauk, doch dann kommt es blitzschnell zum guten Ende: die Verliebten finden zueinander, die Armen sind in Wirklichkeit gar nicht arm und auch die Kassette taucht wieder auf. Der treudoof dasitzende Harpagon spricht den Schlusssatz: „Ich würde so gerne als erstes meine Kassette umarmen“.
Trotz einiger Längen findet die klassische Komödienkunst begeisterten Applaus mit Standing Ovations.