Verzweifelte Suche nach dem richtigen Weg
Wann, wenn nicht jetzt?, fragt Olivier Garofalo und meint mit seiner Frage das intensive Bemühen um den Weltfrieden. Sein Auftragswerk zum 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens von 1648 wurde während der Entstehungszeit des Textes immer wieder von der Realität überholt. Die Vorgänge in der Ukraine haben uns Krieg als Mittel der Auseinandersetzung und zur Durchsetzung politischer Ziele wieder ganz nahe gebracht, obwohl er in vielen Teilen der Welt permanent tobte. Aber das konnten wir gut verdrängen, denn es geschah ja alles weit weg. Doch die Ukraine ist so nahe und lässt keine Wahl: Jede/r muss Stellung beziehen.
Umso drängender wird Garofalos Frage: Wann, wenn nicht jetzt? Der luxemburgische Autor entwirft eine Welt, in der sich die Kriegsparteien im schier endlosen Krieg erschöpfen und ausbluten. Das war im 30jährigen Krieg ebenso wie in Garofalos Welt, die ohne konkreten Zeitbezug angesetzt ist. Staatspräsidentin Hübsch will mit Diktator Barto irgendwie versuchen, zu einem Ausgleich zu kommen, um einen Staatsbankrott zu verhindern. Das gelingt mehr schlecht als recht. Doch noch vor Bekanntgabe des Verhandlungsergebnisses werden beide sterben, Barto durch eine Kugel aus dem Revolver seines ihm bis dahin scheinbar willenlos ergebenen Adlatus‘.
Für den Tod der Staatspräsidentin verantwortlich ist deren Ehemann. Garofalo hat in diesem Zusammenhang eine Nebenhandlung erdacht: Jener Ehemann hat nämlich eine Affäre begonnen mit einer religiös motivierten Widerstandskämpferin, die ihn zum Mord an seiner Frau aufwiegelt. Dieser Handlungsstrang wirkt aber etwas aufgesetzt.
Garofalos Text besteht im Wesentlichen aus allgemeingültigen Aussagen zu Krieg, Frieden, Schuld und Sühne. Deren Wahrheitsgehalt wird niemand leugnen, sind sie doch unbestritten. Aber sie wirken doch, lebendigen Menschen in den Mund gelegt, eher hölzern. Außerdem schreibt er reflektierende Texte zum Thema, die allerdings oft von der unterlegten Musik nur sehr verwaschen zu vernehmen sind. 3-D-Filme sollen diese Sequenzen vertiefen. Doch hier hat das Borchert-Theater Pech mit der Technik, die nicht perfekt funktioniert. Sie könnten sicher aber in der Zukunft alle Zuschauer*innen zu einer Suche nach tieferen Einsichten ins Thema animieren und kontemplative Augenblicke schaffen.
Macht haben, mächtig werden, Ideale hochhalten, Ideale verraten: Zynisch ob all‘ der Menschenopfer ist Krieg auch immer ein Tanz um das goldene Kalb. Wer macht das beste Geschäft? Und gerade diese Gedankengänge sind es, mit denen es Regisseurin Tanja Weidner gelingt, wirklich Funken zu schlagen aus Garofalos doch eher „theoretischem“ Text. Weidner ist es, die den Figuren Leben einhaucht durch perfekte Personenführung auf Annette Wolfs kühler, durch Lichtleisten streng gegliederter Bühne.
Im Hintergrund warten die Personen auf Bänken bis sie an der Reihe sind, wie Boxende beim Sparring. Und wenn Tanja Weidner sie dann in den „Ring“ schickt, bringen alle etwas Emotion in den Raum, weil das Miteinander perfekt abgestimmt ist.
Dem Ensemble merkt man an, wie sehr es aufeinander eingespielt ist und alle versuchen nach Kräften, das Höchstmaß an Lebendigkeit in den Abend zu legen und machen „Bella Figura“. Dankbar für seine Rolle als Diktator Barto kann Meinhard Zanger sein. Mit viel Spielraum gibt er ihn als neuen Nero, der erst Todesurteile unterzeichnet und dann acht gekochte Eier zum Frühstück verspeist. Das ist ganz schön „on the edge“, aber eben nicht drüber.
Tanja Weidner rettet durch ihre sensible Regiearbeit einen Abend zum Westfälischen Frieden vor der „Verkopfung“. Der wird vor allem, wenn die Technik perfekt funktioniert, durchaus lohnenswert sein.