Übrigens …

Zwei Herren von Real Madrid im Oberhausen, Theater

Bananenbrot und Nagelschere

Theaterliebhaber sind leider selten Fußballfans. Aber Sergio Ramos, den kennen Sie doch, oder? Den legendären Verteidiger von Real Madrid mit der Nummer 4? Er ist der Schrecken aller Gegner, gilt als wahrer Knochenbrecher. Aber seit er aus dem Urlaub aus Athen zurück ist, beschäftigt ihn eine erschütternde Erkenntnis. Von seiner Reiseleiterin hat er gelernt, dass wir alle sterben müssen. Wenn das stimmt, werden seine Kinder oder Enkelkinder irgendwann vor dem Fernseher sitzen und Fußball gucken, aber Ramos, der Galaktische, spielt gar nicht mit! Es bleibt ein Trost: „Wir werden immer noch um die Champions League spielen.“

Ramos ist bei Elias Baumann am Theater Oberhausen ein mit Goldfarbe überzogener Modell-Athlet. Einer wie Ramos, so darf man annehmen, glaubt sich unsterblich. In Athen hat er noch eine weitere fundamentale Erkenntnis gewonnen. Wussten Sie, dass Steine älter und sogar berühmter werden können als Menschen? Ja, dass sie vielleicht wirklich unsterblich sind? Seit Ramos das erfahren hat, trägt er ein Akropolis-Tattoo im Gesicht. - Zuvor hatte Elias Baumann in Maike Bouschens Inszenierung von Zwei Herren von Real Madrid den Jesus gespielt, also nicht Gabriel Jesus von Arsenal London, sondern den richtigen Jesus, Gottes Sohn. In einer der fünf Nischen von Franziska Isensees popfarbenem, witzigem Bühnenbild hatte er malerisch an einem violetten Kreuz gehangen, nur angetan mit einem um die Lenden gebundenen roten Handtuch. Nun kann man ja lange philosophieren, ob Gottes Sohn unsterblich war, aber immerhin war er, wie man so hört, drei Tage lang tot. Was man im Falle von Sergio Elias Jesus Baumann bezweifeln kann, denn der zuckt an seinem Kreuz je nach Gang der Handlung und Klang der Musik mit den Gliedmaßen (und zur Predigt der mit rauem Ruhrpott-Humor ausgestatteten Paterin Samia Dauenhauer erst recht). So richtig tot ist Jesus also auch nicht, zumal er dann ja irgendwann als Sergio Ramos aufersteht. Ach ja: Und dann gibt es da noch den schüchternen namenlosen Mittelfeldspieler des königlichen Weltvereins, der auf die Frage, was ihn eigentlich antreibt bei seiner meisterlichen Fußballkunst, nachdenklich antwortet: „Die ewige Angst vor dem Sterben.“

So, Schluss mit den Nebensächlichkeiten. Es gibt zwar einen tragischen Todesfall in Leo Meiers Fußball-Komödie, aber ums Sterben oder ums ewige Leben geht es eigentlich allenfalls peripher. Im Gegenteil: Weder Jesus noch Sergio Ramos haben es in die Titelzeile des Stückes geschafft. Die Zwei Herren von Real Madrid sind nämlich zwei Mannschaftskollegen von Sergio Ramos Fußballgott. Auch die zucken, und zwar als Ausdruck einer typischen déformation professionelle: Der eine holt beim Reden am laufenden Band zu einer Art Schussbewegung aus, der andere begleitet jeden Satz mit einem angedeuteten Hackentrick. Der eine, gespielt von Tim Weckenbrock mit entfernt an Erling Haaland erinnernder Frisur, ist Stürmer (merkwürdigerweise der mit dem Hackentrick), der andere, mit hübschen blonden Strähnen im gepflegten halblangen braunen Haar gespielt von Khalil Fahed Aassi, ist Mittelfeldspieler (merkwürdigerweise der mit der Schussbewegung). Angesichts solch unterschiedlicher beruflicher Orientierungen läuft man sich im Leben ja nicht zwangsläufig über den Weg, auch wenn beide schon zweimal miteinander die Champions League gewonnen haben. So bedarf es denn eines zufälligen Treffens bei einem Waldspaziergang, damit die beiden Mannschaftskollegen einander kennenlernen. Man ist sich gleich sympathisch. Scheu, höflich, unaufdringlich parliert man miteinander; bei ein paar banalen Spielen entwickelt man gemeinsamen Enthusiasmus – und schließlich lädt der Stürmer seinen früh zur Waise gewordenen Bekannten zum Weihnachtsessen bei Muttern ein. Der Stürmer bringt sein Haustier mit, einen genügsamen Drachen an der Leine, und als Gastgeschenk für die Mutter ein selbstgebackenes Bananenbrot. Mutter himmelt den Mittelfeldspieler an wie einst beim BVB die Teenies den Sebastian Kehl, verkümmelt das Bananenbrot und verstirbt wenig später an einem anaphylaktischen Schock. Das bringt erstens die bodenständige Paterin mit ihrem botten Ruhrpott-Charme ins Spiel und zweitens die beiden schüchternen Champions-League-Sieger endlich zueinander: Nach der lustigen Beerdigungspredigt fallen sich die beiden in Sichtweite von Kirche und Paterin endlich in die Arme und küssen einander inniglich. Das Beichtgeheimnis gilt offenbar nicht bei Beerdigungspredigten; jedenfalls weiß am Tag darauf dank Frau Pastorins Instagram Account die ganze Welt von dem jungen Glück. Herr Ramos gibt seinen Segen dazu, und die Herren von Real Madrid, die sich immer noch höflich siezen, gehen munter und zufrieden den nächsten Champions League Sieg an. Da Eifersucht und Liebeskummer in der heilen Welt des schwulen Fußballs nicht vorkommen, ist es auch kein Problem, dass der Stürmer in der nächsten Transferperiode zu Paris St. Germain wechselt (nebenbei gesagt für eine Ablöse von 150 Mio Euro nebst diversen Erfolgsprämien). Der Stürmer begleitet ihn noch zum Flughafen; die beim Umzug vergessene Nagelschere wird er seinem Lebensabschnittsgefährten nachsenden.

Ach ja, Real Madrid. Vielleicht ist das der geilste Club der Welt, vielleicht aber auch nicht. Da spielt der Weltstar Karin Benzema, der einst seinen französischen Nationalmannschafts-Kameraden Valbuena mit einem Sex-Video erpresste; da spielte einst der mehrfache Weltfußballer des Jahres Ronaldo, der verschnupft reagierte, als der Verein den Waliser Gareth Bale für eine höhere Ablösesumme verpflichtete als er selbst gekostet hatte – die Aufzählung der Skandale und Eitelkeiten ließe sich beliebig fortsetzen. Bei anderen Topclubs ist das nicht anders. Aber vielleicht kommt es nicht von ungefähr, dass sich Leo Meier ausgerechnet die Königlichen als Folie für seine wunderhübsche Komödie im Geist des Surrealismus ausgesucht hat, für seine zarte, ohne den leisesten Anflug von aggressiver Kritik geschriebene Utopie von einer besseren, moralischeren, toleranteren Fußballwelt.

Natürlich spart Meier Kritik nicht aus: die Eitelkeit des netten, aber ein bisschen einfältigen Herrn Ramos ist mit Händen zu greifen, aber für den in der Realität extrem maskulin auftretenden Star, zu dem seine Teamkollegen voller Respekt aufschauen, ist die schwule Liebe seiner Kollegen eine solche Normalität, dass sie keines weiteren Kommentars bedarf. Natürlich ist die Nennung der abstrusen (aber inzwischen Realität gewordenen) Ablösesummen ein Wink mit dem Zaunpfahl im Hinblick auf die alte Fußballer-Werte bedrohende Kommerzialisierung des Sports. In die gleiche Richtung zielt die ein bisschen lau-kabarettistisch inszenierte Pressekonferenz, bei der die Pressesprecherin in jedem Satz den Sponsor erwähnt und die Spieler ausschließlich belanglose, einstudierte Antworten geben. Aber Meiers Kritik verletzt nicht; sie ist so zärtlich wie die behutsame, rücksichtsvolle Liebe seiner Protagonisten. Unaufgeregt und mit viel Augenzwinkern kommt auch Maike Bouschens Inszenierung daher – sie ist kein krachendes Kabarett, keine überspitzte ideologische Kritik, einfach nur ein schmunzelnder, liebevoller Kommentar in poppiger Verpackung So liebenswert kann Fußball sein, auch wenn Ramos – in dieser Hinsicht noch ganz Old School - sich das Spucken auf dem Rasen noch nicht abgewöhnt hat. Selten war der Schreiber so optimistisch wie nach dem Besuch dieser Aufführung: Vielleicht, dachte er, wird schwule Liebe im Fußball bald kein Tabu mehr sein.