Weibliches Heldentum: Heerführerin, Teufelsbraut, Hexe oder Heilige?
Johanna (to go), will heißen: die Inszenierung wandert von Ort zu Ort. Tatsächlich wollen die Theatermacher mit ihrem mobilen Format an die deutsche Wanderbühne erinnern.
Als Bühne dient ein weißes Gestänge mit schmutzigweißen, möglicherweise angekohlten Gazevorhängen in mehreren Ebenen, der letzte straff gezogen als Projektionswand für die ausgezeichneten Live-Videoeinspielungen. Heute das Ganze vor der wundervollen Kirchenfensterwand in sanften Farbtönen des niederländischen Künstlers Henk Schilling aus dem Jahr 1965.
Rechts und links je zwei Stühle für die Besetzung, und tatsächlich reichen diese Stühle für ein Stück, zu dem Schiller in der Besetzungsliste außer 27 Personen noch „Soldaten, Volk, Bischöfe, Mönche, Hofleute… und andere stumme Personen“ vorsieht. Lehniger und Eversen haben die Rollen auf zwölf zusammengestrichen und diese mit fünf Personen besetzt, von denen eine, die junge Schauspielstudentin Caroline Cousin, ausschließlich die Rolle der Johanna spielt. Und das bravourös! Alle anderen müssen - ganz im Sinne der Wanderbühne - in rasantem Tempo Rollen, Geschlechter, Nationalität und Kostüme wechseln, was technisch glänzend gelingt. Wenn dabei auch Markus Danzeisen als antriebsloser Karl der Siebente eher überzeugt, denn als seine kraftvolle Mutter Königin Isabeau, die von Engländern und Franzosen gleichermaßen als „Furie“ gefürchtet wird, der ein Feldherr entgegenschleudert: „Geht, geht mit Gott, Madame. Wir fürchten uns vor keinem Teufel mehr, sobald Ihr weg seid.“ Der Danzeisen’schen Isabeau nimmt man weder die Wut auf die Männer, noch auf die Verhältnisse ab. Damit fällt eines der von Schiller im Stück entworfenen Frauenbilder aus. Überzeugend und strahlend dagegen Fnot Taddese im Wechsel zwischen zwei Männerrollen und der sanften, verständnisvollen Geliebten Karls, Agnes Sorel. Mit Hingabeund klugen Ratschlägen, sich selbst zurücknehmend, verkörpert sie den Inbegriff des Weiblichen für Schiller und seiner Zeit mit den Worten: „Dem Mann zur liebenden Gefährtin ist das Weib geboren“. (Der Figur liegt eine wirkliche Person zu Grunde.)
Bei der Titelheldin von „Die Jungfrau von Orléans“ ging es Schiller allerdings nicht vorrangig um das Frauenbild dieser Figur. Es ging auch nicht vorrangig um ein Zauber - oder Mysterienspiel - wenn auch Züge dieser Bühnentraditionen erkennbar sind - sondern vor allem um das Theater als Schule des nationalen Bewusstseins (so im Programmheft). Mit der charismatischen Heldin aus dem 15. Jahrhundert hoffte er 1800 von der Bühne herab mit der Magie des Politischen, das nationale Bewusstsein der Deutschen, ihre Vaterlandsliebe, vor den heranrückenden Napoleonischen Truppen zu wecken. Dabei spielte ihm das Paradoxon, dass es bei dem Stoff ausgerechnet um eine französische Heldinnenlegende ging, keine Rolle, was er ausdrücklich in einem Brief an Goethe vom 20.8. 1799 so begründete, dass er sich erlaube, „immer nur die allgemeine Situation, die Zeit und die Personen aus der Geschichte zu nehmen und alles übrige poetisch frey zu erfinden“ Das macht es möglich, Johanna als reine Jungfrau, Gotteskriegerin, Nationalheldin, Hexe, Teufelsbraut, Verliebte und Heilige in einer Person zu präsentieren. Wobei in Düsseldorf die Kriegerin allerdings nur fahnenschwenkend, nicht tötend auftritt. Das dürfte insofern im Sinne Schillers sein, als er seine Johanne vor allem als Heilsgestalt entwarf - im bewussten Gegensatz zu Shakespeares Johanna, die im Heinrich VI. als Dirne und Betrügerin auftritt, und auch als Gegenbild zu Voltaires Pucelle d’Orléans in dessen satirischem Epos aus dem Jahr 1762. Und letztendlich auch im Gegensatz zur historischen Jeanne d’Arc, die am 5. Mai 1431 in Rouen auf dem Scheiterhaufen als Ketzerin verbrannt wurde. Schiller gewährt seiner Johanna einen gottgefälligen Heldentod: mit den Worten „Kurz ist der Schmerz, und ewig ist die Freude!“ sinkt sie tot auf die Fahne nieder.
Auch Lehniger/Evensen gewähren ihr, trotz aller Kürzungen, den Heldentod, wenn auch etwas spartanischer und ohne Flagge. Doch fügen sie Johannas berühmtem Schlusswort noch ein Zitat aus dem 4. Aufzug an, das möglicherweise an uns alle gerichtet sein soll: „Die Wunder ruhn, der Himmel ist verschlossen. Auf!“ Licht aus, Tücher schwarz, Ende.
Doch nicht nur der Schluss bekommt durch den Aufruf zur Tat eine besondere Bedeutung, auch der Anfang ist bemerkenswert. Lehniger/Evensen stellen dem Schiller’schen Prolog noch ein „Intro“ voran, in dem Johanna mit den Worten beginnt: „Gehorsam ist des Weibes Pflicht… Die hier gedienet, ist dort oben groß“, wobei es sich bei diesem Zitat (aus dem 1. Aufzug, 10. Auftritt) nicht um den Dienst dem Manne gegenüber handelt, sondern um den Gehorsam gegenüber der göttlichen Sendung. Es geht also nicht um einen Aufruf zur Unterwerfung, sondern zur weiblichen Tat. Und gleich nach diesem Aufruf der Heiligen Maria zum Kampf legen die Autoren ihrer Heldin noch eine Passage aus dem ersten Werk feministischer Literatur Europas aus dem Jahr 1405 in den Mund. Johanna zitiert aus Christiane de Pizans Werk Das Buch von der Stadt der Frauen wenn sie selbstbewusst fragt: „Was wissen diese Männer schon über uns Frauen?“ Und setzt gleichsam als Motto über den Abend die Pizans’sche Behauptung: „Wenn wir einmal aufstehen, wenn wir entschlossen sind, wird nichts auf Erden oder im Himmel uns zur Aufgabe bewegen.“ Diesem mehr als sechshundert Jahre alten Anspruch einer spätmittelalterlichen Autorin über ihre Zeit hinaus an alle Frauen wird die junge Caroline Cousin mit der Düsseldorfer Johanna unbedingt gerecht.