Los, täuschen wir die Welt mit Spiel und Scherz
FOUL IS FAIR AND FAIR IS FOUl, prophezeien Shakespeares Hexen. - „Schön ist hässlich, hässlich schön“, heißt es in der Schlegel-Tieck’schen Übersetzung, während Angela Schanelec und Jürgen Gosch für ihre spektakuläre Aufführung 2005 im Düsseldorfer Schauspielhaus „schön ist schlimm und schlimm ist schön“, übersetzten. Paradox ist es allemal, beim Original wie bei den Übersetzern. Und wahrhaft paradox sind auch die Inszenierungen, die Gosch damals und Johan Simons jetzt in Bochum zur Stückfassung von Schanelec/Gosch auf die Bühne zauberten. War es in Düsseldorf ein rasantes Horrorbild, eine Mordmaschine aus Einbildung, bei der eimerweise Blut über sieben nackte Männer ausgeschüttet wurde, so ist es bei Simons überraschend komödiantisch, es gibt herzhafte Lacher und tatsächlich setzt sich Macbeth zwischendurch auch mal eine rote Clownsnase auf.
Die tiefe Bühne ist schwarz gewandet, mittendrauf zwei riesige leere Becken mit Delfter Kacheln ausgeschlagen. Doch wir sind nicht in Holland, sondern in Schottland vor langer Zeit. Tatsächlich basiert die blutige Tragödie, die um 1607 zur Uraufführung kam, auf der wahren Begebenheit, dass der schottische König Macbeth im Jahr 1040 den Thron bestieg, nachdem er König Duncan I. ermordet hatte.
Shakespeare nennt in der Besetzungsliste siebenundzwanzig Personen mit Namen außer „Lords, Gentlemen, Officers und Soldiers.“ In Bochum erscheinen drei Personen in eleganten schwarzen Smokings auf der Bühne: eine Frau (Marina Galic) und zwei Männer (Jens Harzer und Stefan Hunstein). Dabei bleibt es. Viele Rollen, viel Text vom Original sind gestrichen, aber dennoch braucht es Konzentration und wenn möglich Vorwissen, um den rasanten Rollenwechseln dieser Bühnenzauberer folgen zu können. Zumal Hunstein als „Hexe“ durchs ganze Stück nur die drei Hexen gibt: wie ein unheimlicher Schicksalsbote ständig präsent mitspielt, eingreift, seltener kommentiert oder ironisiert.
Gleichsam als böses Omen setzt die Hexe im Prolog das doppeldeutige Motto: „Wo nichts mehr wächst. Dort treffen wir Macbeth. Schön ist schlimm und schlimm ist schön.“ Es folgt der Kriegsbericht mit dem Verrat des Than von Cavdor. Wenn dabei auf ein zweites Golgatha verwiesen wird, kann es sich nur - etwas hoch gegriffen - auf den Verrat des Judas beziehen. Etwas albern legt man dann zur Siegesfeier eine Platte auf und tanzt zum Song „Je t’aime“. Danach kotzt Duncan auf die Bühne und alle drei wischen das Malheur mit ihren Tüchlein aus den Smoking-Jacken auf und stecken sie zurück. Lacher aus dem Publikum. Wieso? Das Publikum hat den parodistischen Unterton des Abends offenbar schon aufgenommen. Es folgt die doppelte Hexenprophezeihung: für den kinderlosen Macbeth, „der König wird hernach“ und für Banquo, der „selbst nicht König, Könige hervorbringt“. Marina Galic reagiert sofort als Lady Macbeth: zieht die Smokinghose aus, steigt mit nackten Beinen in Superpumps, schminkt sich die Lippen und scheint sich so - ganz im Shakespeare‘schen Sinne - in die festentschlossene bluttatendürstige Lady Macbeth zu verwandeln. Doch so richtig teuflisch wird sie nicht, treibt ihren Macbeth eher spitzbübisch vor sich her, bis sie selbst aufgibt. (Übrigens außer der hin und her wandernden Königskrone ist dieser Kleiderwechsel die einzige Orientierungshilfe, die uns Kostüm oder Requisite zugestehen.)
Während im Hintergrund ein großes Waldvideo läuft, zappelt vorne Jens Harzer als verunsicherter, mutloser Macbeth, fragt: „Wenn es schief geht?“ und jammert: „Liebste Liebe, Lass uns nicht weitermachen in der Sache.“ Doch die Lady ist entschlossen: „Lächle jetzt. Das andere mach ich.“ Noch einmal wird getanzt, zu dritt wälzt man sich in weißem Puder. Man sieht etwas ramponiert aus und dann redet sich Jens Harzer als Macbeth selbst Mut zu: „Ich tu’s!“, wiederholt er fünfmal, schneidet wilde Grimassen, bevor er in einer höchst kuriosen Szene den Mörder und das Opfer spielt. Die Morde erledigt bei dieser Inszenierung übrigens alle Macbeth selbst, die Hexe schüttet dann aus einem Becherchen etwas Theaterblut über die angebliche Leiche. Das alles verbreitet so gar nichts von Grausamkeit und Machtgier, vielmehr scheinen über allem die Worte Macbeth‘ unmittelbar vor der Tat zu stehen: „Los, täuschen wir die Welt mit Spiel und Scherz!“ Ein unerwarteter greller Schmerzensschrei - vom Opfer oder Täter? - stoppt dann das Gelächter im Saal.
Bevor die Lady und Macbeth von Selbstzweifel, Wahn und Tod erfasst werden, gibt’s noch eine Ekelszene: Hunstein, der Hexenmann, die schulterlangen Haare jetzt vorm Gesicht, rührt in wilder Raserei einen Zaubertrank an aus Krötengift, Mäuseflaum, Wolfsgebiss, Hexenmumie, Fliegenschiss und anderem fiesen Zeugs, rührt und rührt tobend, um das Gebräu dann selbst zu trinken und den anderen aufzunötigen.
Ans Publikum gewandt, klärt Harzer/Macbeth uns vor seinem Abgang noch auf über dieses böse Spiel: „Das Leben spielt sich auf für diese Stunde auf der Bühne. Ist nur ein Märchen, von einem Depp erzählt. Ganz bedeutungslos.“ Und noch einmal das Anfangsmotto: „Wo nichts mehr wächst. Schön ist schlimm und schlimm ist schön.“ Vielleicht!
Dann stehen sie alle drei wieder am Bühnenrand in frischen, eleganten Smokings mit Kummerbund und Lackschuhen. Hinter ihnen läuft ein Video mit riesigen Bildern der heilen Natur: Pflanzen, Käfer und Insekten. Das Gegenbild zur defekten Menschenwelt.
Es braucht diese drei ungewöhnlichen, grandiosen Theaterleute: Galic, Harzer und Hunstein, um die kürzeste und blutigste Tragödie Shakespeares so mitreißend umzuinterpretieren und komödiantisch auf die Bühne zu bringen.
Das Publikum applaudiert begeistert. Man war einverstanden mit dieser lustigen Mördergeschichte.