So lustig kann’s Morden sein
Die Bühne im Kleinen Haus in Düsseldorf ist vollgepackt, gleich auf zwei Ebenen. Alles ein bisschen gestrig, die Möbel könnten vom Flohmarkt sein. Da gibt’s eine Eckbar, ein Klavier und darüber Platz für eine Live-Band und das Wichtigste: Das Studio eines kleinen Privatsenders, des „Radio Raskolnikow“. Überall bunte Schnurtelefone und vorne ein Plattenspieler, dazu im Ständer gut lesbar das Cover von Schuld und Sühne - aus dem Russischen von Werner Bergengruen, gelesen von Gert Westphal. Von diesem Relikt aus den 1940er-Jahren wird später der Kern-Text des Theaterabends, nämlich die Dostojewskij-Story eingespielt. Wenn auch mit Kratzern - scratch heißt es da im Text - und Verödungen.
Dann erscheint Clemens Sienknecht zunächst als Musiker in grauer 70er-Kombination, busy mit wechselnden Instrumenten hantierend - ansonsten ist er für dieses Stück auch noch Autor, Regisseur und virtuoser Mitspieler in verschiedenen Rollen, ganz gleich ob Mann oder Frau.
Singend und tanzend erscheinen die anderen: Nadine Schwitter in grell-pinker Bluse und kariertem Mini-Faltenröckchen, sie wird die jüngeren Frauen geben, während die älteren Damen von den Männern in hässlicher Lockenperücke und übergestrüpptem Mantel übernommen werden. Thiemo Schwarz und Raphael Rubino wechseln bravourös die Rollen, während der junge Moritz Klaus durchgängig den Protagonisten Rodion Raskolnikow in seinen Verbrechen und Ängsten, seiner intellektuellen Arroganz und reuigen Verunsicherung gibt. Das alles in parodistischer Überzeichnung, die auch mal in Klamauk übergeht. Dabei kommt das Ganze als musikalisches Erzähltheater auf die Bühne: begleitet von den Live-Musikern Friedrich Paravieni (Cello, Orgel, Bass) und Berthold Klein (Klarinette) reichen Songs und Melodien von Joe Cocker bis Mozart.
Das theatrale Kunststück des Abends ist zweifellos die Idee des Theaterpaars Barbara Bürk und Clemens Sienknecht, aus der Kriminalgeschichte um den verkrachten Jurastudenten, Moralsektierer und Selbstüberschätzer, der zum Doppelmörder wird, eine Radioshow zu machen. Das bedeutet den ständigen Wechsel zwischen den verschiedenen Handlungsebenen. Da sind wir mal im Radio-Studio, hören Thiemo Schwarz als launigen DJ Mucke und sehen ihn wenig später als Leiche des überfahrenen Säufers Semjon Marmeladow am Bühnenrand liegen und dann auch wieder als pfiffigen Ermittler Porfirij Petrowitsch in der Studio-Bar höchst lebendig im alten Russland den Spuren des Verbrechens nachgehen.
Zur Tat selbst hören wir den Originalton der Bergengruen-Übersetzung vom Plattenspieler, während sich dann über dem Studio etwas wie ein Kasperletheater öffnet und wir dahinter live erleben können, wie Klaus/Rodja mit langsamem Schwung die Pfandleiherin und ihre unglücklich dazugekommene Schwester mit dem Beil erschlägt. Das Ganze parodistisch überzogen, grotesk verlangsamt. Und schon wird’s vom Radiomoderator übernommen, der das „True-Crime Feature“ zum Fall Raskolnikow ankündigt im „Mittwochs Mordclub - pünktlich zur True Crime-Time - gesponsert vom Optiker Fleischmann“.
Im Roman geschieht das Verbrechen auf den ersten hundert von fast siebenhundert Seiten und auch auf der Bühne gibt man Klaus/Rodja Zeit, von seiner Theorie zur harten Wirklichkeit der Konsequenzen seiner Tat zu finden. Er mordet aus dem Überlegenheitsdünkel, dass er, arm geboren, jedoch auf Grund seiner Begabung zu den „außergewöhnlichen Menschen“ gehöre, die das Vorrecht haben, Verbrechen, eben „gerechte Morde“ zu begehen. Während er Leute, wie die geldgierige Pfandleiherin, als „Läuse“ betrachtet, die geopfert werden können. Da er eitel und dümmlich diese Theorie veröffentlichte, legt er selbst die Spur für den Untersuchungsrichter, die zu ihm führt und ihn langsam psychisch zermürbt. Unter dem Einfluss der rührend braven Sonja (herrlich: Nadine Schwitter) kommt es zum halbherzigen Geständnis.
Was Dostojewskij höchst ernsthaft analysiert, wird auf der Bühne zum Slapstik und vom Publikum herzhaft belacht und am Ende begeistert beklatscht.