Ein Weltmärchen
Als letzte Premiere unter der Intendanz von Christian Tombeil wünschte sich das Ensemble Tankred Dorsts Mammutwerk Merlin oder Das wüste Land, wollten doch fast alle Schauspieler und Schauspielerinnen zusammen auf der Bühne des Grillo-Theaters stehen. Dorst hat in seinem „Weltmärchen“ die Artus-Sage und den Mythos um den Zauberer Merlin äußerst kreativ und spannend mit universellen Themen wie zum Beispiel Macht und Ohnmacht von Politik, Generationenkonflikte und Utopiesuche verbunden. Ein Stoff, der alle Möglichkeiten bietet, theatrale Mittel verschiedenster Art einzusetzen. Seien es ästhetische Videoprojektionen wie ein auf einem Gazevorhang wachsender Wald, seien es Gesangseinlagen oder ein vom Bühnenhimmel herabschwebender Merlin. Dem Ensemble stehen viele Interpretationen ihrer Rollen offen.
Vor dem eigentlichen Abend beginnt es vor den noch geschlossenen Türen zum Zuschauerraum mit dem Auftritt eines Clowns, der Zuckerherzlollis an die wartenden Zuschauer verteilt. Seine hochschwangere Schwester Hanne kreuzt auf, beide suchen nach dem Kindsvater. Auch Jesus (mit Dornenkrone) läuft herrisch hin und her. Dann beginnt das Schauspiel mit viel Getümmel auf der Bühne. Hanne bringt ihr Kind Merlin zur Welt, während die Zuschauer in den Saal strömen. Merlins Vater, der Teufel (schön aasig Ines Krug), strotzt vor Selbstbewusstsein und Bösartigkeit. Thomas Büchel spielt Merlin. Im schlichten, langen Gewand, barfuß und die langen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden sieht er aus wie der Prototyp eines Jüngers. Stets verkündet er besonnen seine Weisheiten, so erklärt er den Rittern der Tafelrunde, der König sei unter ihnen.
Der Abend strotzt vor Regieeinfällen, meist sind sie höchst vergnüglich bzw. plakativ. Amüsant ist es zum Beispiel, wenn die Gralsritter versuchen, das Schwert Excalibur aus dem Stein zu ziehen und dabei Sprüche klopfen wie „Lass das mal den Vati machen“. Oder die Szene, wenn König Artus versucht, einen Schreiner zu überreden, den runden Tisch für die Tafelrunde zu zimmern. Soll der Tisch doch ein Sinnbild für Gerechtigkeit sein.
Walburg ist es gelungen, den materialintensiven Abend auf relativ kurze 4,5 Stunden mit zwei Pausen zu kürzen. Nach der ersten Pause dürfen die Zuschauer aus den ersten Reihen auf der Bühne Platz nehmen. Goldflitter rieselt auf sie, die jetzt die höhere Schicht der Gesellschaft repräsentieren, herab. Alle anderen können die Plätze frei wählen. Auf der Bühne philosophiert man über Arm und Reich, sowohl bei Theaterpreisen wie auch bei den höheren Bildungschancen für Kinder aus höher gebildeten Familien. Jan Pröhl (Sir Orilus) bügelt recht erfolglos ein Kettenhemd. Sir Mordred (Trixi Strobel mit azurblauen Punkerhaaren), der uneheliche Sohn von König Artus, fragt sich: „Wie werde ich fertig mit den Taten meines Vaters?“ Walburg setzt häufig gekonnt Videoeinspielungen ein, so Szenen aus diversen Kriegen und Aufnahmen von Naziaufmärschen, wenn von Schlachten die Rede ist. Zum dritten Teil des Abends kehren alle Zuschauer wieder auf ihre alten Plätze zurück, die ursprüngliche Ordnung ist wiederhergestellt.
Das Ensemble - nicht wenige übernehmen mehrere Rollen - spielt durch die Bank weg mit Leidenschaft. Sei es Philipp Noack als König Artus, Janina Sachau als Königin Ginevra (ihre Liebesbeziehung zu Sir Lancelot zieht sich durch den Abend) oder eben besagter Sir Lancelot. Alexey Ekimov spielt ihn herrlich als edlen Ritter, der nicht von seiner Angebeteten lassen kann. Thomas Büchel ist und bleibt als Merlin die zentrale Figur des Abends. Eigentlich müsste man alle Mitwirkenden aufzählen…
Insgesamt war es wohl manchem Zuschauer trotz der Kürzung zu lang. Nach der zweiten Pause blieben viele Plätze frei. Der engagierten und großartigen Leistung der Schauspieler wurde jedoch zu Recht mit Standing Ovations Lob gezollt.