Die Katze Eleonore im Mülheim/Ruhr

Eine animalische Selbstvergewisserung

Es könnte ein elegantes Wohnzimmer sein mit weißem Sofa und opulenten Flokati-Teppichen, wenn da nicht eine mannshohe Kiste mit großem Einstiegsloch und etwas wie ein Baumstamm stünden. Wir erfahren bald, wozu es taugt. Eleonore erscheint (hinreißend gespielt von Karina Plachetka), beklagt das Verschwinden ihrer Mutter in die Demenz, gibt das „autodynamische Patchwork“ ihres erkrankten Geredes wieder, um dann von sich selbst zu berichten. Bis zu einem Tag im September war sie Immobilienmaklerin, erfolgreich aber einsam. Als sie verloren aus dem Fenster schaute, begegnete sie dem Blick einer Katze und bemerkte, dass sie sich unwillkürlich leckte „zwischen Daumen und Zeigefinger, wo es weich ist, wo Fleisch und Sehnen sind. Und instinktiv wird ihr klar, dass sie selbst eine Katze ist.

Allerdings sieht sie, wie sie da vor uns steht in engem schwarzen Kostümrock, weißer Hemdbluse und rosa Blaser, so gar nicht tierisch aus, doch in einem achtzigminütigen , nur wenig vom Therapeuten unterbrochenen Monolog berichtet sie von ihrem Katzenbewusstsein. Zwar ließ sie sich von einer Schneiderin für viel Geld ein Katzenfell auf den Körper schneidern, das sie dann „wie ein ohnmächtiges Tier, das es zu reanimieren galt“ nach Hause trug, doch wir bekommen es nicht zu sehen: da gibt es kein Fell, keine Katzenöhrchen, keine Schnurrhaare und keinen Katzenschwanz. Und Eleonore gesteht enttäuscht, dass sie „dachte, es würde verwachsen mit der erbärmlichen Menschenhaut, tut es aber nicht.“

Stattdessen legt sie ihre Alltagskleidung in der Schlafhöhle ab und kriecht im völlig transparenten Bodysuit wieder heraus. Auf allen Vieren kommt sie im Ballengang aufs Publikum zu, richtet sich an uns oder meditiert vor sich hin, auch mal über Kapitalismus oder Gentrifizierung, was sie aber eigentlich alles nichts mehr angeht. Das Telefon klingelt und der Therapeut, Herr Wildbruch (als wohlmeinende Stimme: Holger Hübner) meldet sich, versucht den Bezug zum Menschendasein für sie zu erhalten, verweist darauf, dass auch die Katze vom Menschen Futter braucht. Doch da hat Eleonore vorgesorgt: eine ganze Palette wird geliefert, lauter Dosen mit der Aufschrift „Caren Jeß“, das ist der Name der Autorin, sie also füttert das Menschen-Tier-Wesen? Eleonore reißt eine Dose auf, schleckt und schlürft das Futter schmatzend daraus – tatsächlich riecht es im Saal nach Katzenfutter. Dann kommt sie mit einem täuschend ähnlichen Taubenkadaver vorm Mund an den Bühnenrand, lässt ihn angewidert fallen, da bleibt er dann liegen. Sie faucht und kratzt am Kratzbaum, doch trotz aller versuchten Assimilation ans Katzendasein, steht sie am Ende als nackter Mensch in ihrem Garten. Wildbruch hatte ihr Phlox-Samen geschenkt, der jetzt in voller pinkfarbener Blüte steht. Ein Video verwandelt die Bühne in ein wucherndes Pflanzenmeer und Eleonore muss erkennen, dass ihr Blick die Rottöne, die keine Katze erkennt, voll wahrnimmt. Sie steckt sich die Blüten in Mund und Vagina. Der Text warnt, dabei nicht an den Penis des Herrn Wildbruch zu denken, nicht alles sei Metapher. Was soll es dann? In der letzten Szene bricht die Technik in Eleonores Wohnung zusammen, Strom braucht den Menschen.

Caren Jeß stellt in ihrem Stück eine Menge Fragen zu dem Versuch, eines „anderen Lebens“. Antworten bleibt sie schuldig. Beim Lesen des Textes fühlte ich mich nicht mitgenommen. Doch durch die virtuose, sensible Verkörperung der Eleonore durch Karina Plachetka erreichen die Gedanken und Sehnsüchte des Textes die Menschen, die in Mülheim begeistert applaudierten.