Übrigens …

Das Ballhaus (Le Bal) im Neuss, Rheinisches Landestheater

Eine musikalische Reise durch das 20. Jahrhundert

Le Bal – der Tanzpalast ist ein italienisch-französisch-algerischer Spielfilm (Regie: Ettore Scola) aus dem Jahre 1983. Er erzählt die Geschichte des 20. Jahrhunderts auf eine bestechend neue Weise. Werden doch keine Dialoge verwendet. Die Handlung wird ausschließlich durch Musik und das Spiel der Darsteller erzählt. Wobei die jeweils zeitgenössischen Tänze eine besondere Rolle spielen. Das Stück entstand als kollektives Werk des The?a?tre du Campagnol unter der Regie von Jean-Claude Penchenat.

Im Rheinischen Landestheater inszenierte Jan Käfer den höchst unterhaltsamen Abend. Die Bühne ist im Art-Deco-Stil gehalten, ein üppiger Kristall-Leuchter hängt in der Mitte von der Decke. Links steht ein elektrisches Klavier. Ein großes Entrée an der Rückseite erlaubt schnelle Auftritte und Abgänge. Carl-Ludwig Weinknecht schlurft als Wirt umher und räumt auf. Hergard Engert sorgt als Putzfee mit Wischmopp und Eimer als Klofrau für Ordnung. Die beiden Mitglieder des Neusser Ensembles werden sich im Laufe des Abends noch chamäleonartig in viele andere Personen verwandeln, ebenso wie die anderen Mitglieder des Neusser Ensembles, als da wären: Anna Sonnenschein, Katrin Hauptmann, Johannes Bauer und Anton Löwe.
Schnell füllt sich der Tanzsaal mit mondän gekleideten Gästen, alle wild entschlossen, das Leben zu feiern. Die Kostüme sind hier wie auch überhaupt sehr exklusiv bzw. fantasievoll. Man tanzt einen langsamen Walzer und wir hören Marlene Dietrichs bekanntestes Lied: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt.“ Die Stimmung kippt mit den politischen Veränderungen. Rührend mittendrin eine Hochzeitsszene, in der der Bräutigam seiner Angebeteten den Ring ansteckt, um dann mit ihr unter roten Bändern, die die Mitspieler halten, einen Walzer zu tanzen.
Die Kriegszeit wird plakativ durch ein Lazarett
in eben diesem Tanzsaal dargestellt, man hört Fliegeralarm, aus dem Radio tönen die bekannten Worte: „Seit 5.45 wird zurückgeschossen.“ Amerikanische GIs bringen auch musikalisch einen neuen Wind in den Tanzsaal mit Glenn Millers „Don't Sit Under the Apple Tree With Anyone Else but Me“.Die Gäste tanzen Swing und Rock ’n’ Roll und feiern nebenbei den Sieg der deutschen Fußballmannschaft über Ungarn („Wir sind Weltmeister!“).
Nach der Pause sehen wir einen umgestalteten Tanzpalast, mehr eine Discohalle mit dazugehöriger Discokugel. Hippies strömen herein, ein Hauch von Flower-Power weht durch den Raum. Man tanzt zu bekannten Discohits wie „Fly, Robin, Fly“ oder
Yes Sir, I Can Boogie“. Deutsche Schnulzen wie „Rote Lippen soll man küssen“ werden in einem Medley gespielt.

Insgesamt ein äußerst erfrischender Abend, der einen historischen Abriss mit allen relevanten Details zur Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht ersetzen kann und will. Ein Abend ohne Worte, aber voller Komik, Fantasie und Poesie und mit einem fantastischen Ensemble. Zu den Mitgliedern des RLT-Ensembles stoßen noch: Regita Bukyte, Alexander Chico-Bonet, Thorben Gohde, Isoken Iyahen, Frank Kurella, Ralf Mainz, Heike Thaleikis, Sophie Szymkowiak, Gianna Sophie Metzer.

Sehr lebhafter Beifall belohnt die gelungene Inszenierung.