Das Bild mal quer aufhängen
„Was haste denn da wieder für ‘nen Opa-Pullover an?“, fragt die beste Ehefrau von allen und wendet sich mit Grausen ab, wenn der Schreiber dieser Zeilen gegen Mittag verschlafen die Treppe hinunter stolpert. Aber Ehrenwort: So’ne öpperige Oberbekleidung wie das braun-grün gestreifte Ungetüm, das Ed. Hauswirth auf der Bühne des Forums Freies Theater spazieren führt, habe ich nicht im Schrank. Ein spießiges rotweiß-kariertes Hemd wie Rupert Lehofer schon eher. Gar nicht zu reden von dem erkennbaren Bauch-Ansatz, der die beiden alten Männer ziert - der ist doch eigentlich ganz harmlos, oder? - „Niedlich“ findet die 13jährige Florentina die zwei älteren Semester. Und sie philosophiert mit ihrer gleichaltrigen Freundin Emilia darüber, wie die beiden wohl waren, als die Männer selbst 13 Jahre alt waren. „Meinst du, die waren mal süß?“ -
Die Herren geben sich erstmal halbwegs ungerührt. Obwohl: Ein kleines bisschen irritiert sind sie schon, als Florentina (Pfiffl) und Emilia (Thelen) nach zwanzig stummen Minuten die Bühne entern und ihnen mit verhaltenem Interesse zuschauen. Bis dahin waren sie vollkommen ungestört ihrer frührentnerlichen Beschäftigung nachgegangen, ohne ein einziges Wort zu sprechen. Ihr Tagwerk entsprach dem Klischee von langweiligen alten Männern: Heimwerken. Bilder aufhängen. Zeitlupenartig. Eins wie das andere, hübsch akkurat nebeneinander, mit wichtiger Miene ausgemessen. Absurderweise handelt es sich um genau gleiche Bilder - und zwar um eine künstlerisch ausgesprochen hochwertige Fotografie. So viel Geschmack hätten wir den alten Schluffen nie zugetraut. Ob das Bild allerdings bei Hardcore-Feministinnen durch die Zensur kommen würde, sei dahingestellt: Eine Frau in enger Hose liegt auf dem Bauch auf einer Treppe (mutmaßlich eines Monuments). Sie kniet auf der unteren Stufe und liegt mit dem Oberkörper auf dem oberen Absatz, das Gesicht von der Kamera abgewandt und zu Boden gerichtet. Bei einer solchen Körperhaltung rückt zwangsläufig der Hintern in den Fokus, während die Augen verborgen bleiben. Als sexistisch kann man das Kunstwerk beim besten Willen trotzdem nicht bezeichnen. Die alten Männer interessiert die Ansicht auch gar nicht. Eigentlich, so gewinnt man den Eindruck, interessiert die beiden Stoffel gar nichts. Auch dass sie sich nach jedem erfolgreich aufgehängten Bild ein Fläschchen Bier genehmigen, hat eher rituellen Charakter. Die beiden, nennen wir sie Rupert und Ed., wollen einfach ihre Ruhe haben. Emilia und Florentina aber übernehmen jetzt langsam die Initiative. Mit der Ruhe ist es bald vorbei.
Männer über 50 entwickelten automatisch eine Art Machtposition, sagt Ed. Hauswirth sinngemäß in einem Interview mit dem österreichischen „Standard“ über die Inszenierung seines Theaters im Bahnhof Graz. Die beiden lahmen Spießer da auf der Bühne auch? Na klar, für junge 13jährige Mädchen schon - Alter und Körperlichkeit tun da ihr Werk. Dabei haben die zwei Jungs in ihrem Leben sicher nicht zu den Reichen und Schönen respektive zu den Mächtigen und den Tyrannen gezählt, sondern eher zu den Losern. Jetzt losen sie erst recht. Emilia und Florentina drehen den Spieß nämlich um, verändern die Richtung des Machtgefälles. Und zwar ohne aufzutrumpfen, ohne aggressiv zu werden. Die Girls reden, die „Dudes“ halten die Klappe. Sie hängen weiter Bilder auf. Und wundern sich.
Denn die Mädchen geben nun die Regieanweisungen. Ruhig, sachlich und mit unendlicher Gelassenheit lesen sie aus dem Skript vor, was die beiden Männer tun sollen. Das ist zunächst einmal eine Bestätigung dessen, was bisher geschah - mit minimalen Veränderungen. Doch dann werden die Regieanweisungen absurder. Vielleicht sollte man ein Bild einfach mal quer aufhängen? Dann steht die Frau auf dem Foto fast aufrecht. Lakonisch geben die Mädchen vor, was die Männer zu tun haben, unbeteiligt - und doch irgendwie auch unerbittlich. Wenn sie die Alten manipulieren, wirkt das, als hielten sie einen Joystick in der Hand und bewegten Figuren auf einem Bildschirm. Vor allem Rupert, der die Hauptlast des Aufhängens trägt, hält immer häufiger inne. Veränderungsfähigkeit hatten die Mädchen dem männlichen Geschlecht bereits zuvor abgesprochen - dafür gebe es einfach keine Muster. Männer bleiben stur auf ihrem Weg; die stereotype Wiederholung einfachster Tätigkeiten auf der Bühne versinnbildlicht das. Warum sollten sie, die Gewinner der patriarchalischen Struktur der Geschlechterverhältnisse, sich auch verändern? Und so tun Rupert und Ed. auch jetzt nicht immer, was die Mädchen wollen, aber diese insistieren, gehen auch schon mal Umwege, um danach unbestechlich wieder auf ihren alten Pfad zurückzukehren. Ihr Skript, aus dem sie lesen und das aus nichts als den Sätzen zum Aufhängen der Bilder besteht, sieht Veränderungen vor. Bis hin zur Abschaffung der „Dudes“?
Warten wir’s ab. Emilia und Florentina sind nicht aggressiv. Sie kennen die Grenzen der Veränderungsfähigkeit von jungen und alten Männern. Sie ahnen, dass die Jungs vielleicht einmal süß waren. Sie bleiben gelassen. Sie kämpfen mit anderen Mitteln - und verlieren ihr Ziel nicht aus den Augen. Die Welt wird sich verändern, auch im Verhältnis der Geschlechter. Auch Männer können das Querdenken lernen, die Bilder der Welt, die Machtverhältnisse neu denken, gar ihre alten Sichtweisen zerstören. - Unmerklich wird die Geschichte, die zwischendurch einmal in die Langeweile zu entgleiten drohte, spannend - und unwirklich. Vielleicht steht das Unwirkliche für eine Utopie. Rupert und Ed. halten weiter die Klappe. Vielleicht müssten sie das ja gar nicht, wenn sie veränderungswillig und -fähig wären.
Das Ende verraten wir nicht. So gemein sind wir nämlich gar nicht, wir alten weißen Männer...