Vielleicht das Theater von morgen?
Im Rahmen des Impulse-Theaterfestivals für Freie Theater brachte das Kollektiv HENRIKE IGLESIAS unter dem Titel Flames to Dust eine Performance über Vergänglichkeit auf die Bühne. Den Titel entnahmen sie dem Song der portugiesisch-kanadischen Sängerin Nelly Furtado aus dem Jahr 2006, in dem sie die Frage nach dem Ende aller guten Dinge besingt. Der Song wird im Laufe des Abends immer wieder eingespielt und untermalt so die interaktive Show über Abschied, Sterben und Tod.
Doch bevor das Spiel beginnt, ist einiges zu arrangieren. In der Ankündigung wird darauf hingewiesen, dass man - wenn möglich - sein Smartphone mitbringen möge, und das muss nun vor Beginn eingestellt werden: das richtige WLan ist zu suchen um sich dann auf der eigens eingerichteten Website einzuloggen. Funktionen müssen aus-, andere eingestellt werden. Hilfe wird angeboten, doch nicht wirklich gebraucht, da in dieser Vorstellung kaum jemand älter als dreißig ist. Davon profitiere ich. Wir sitzen im Quarre, etwa vierzig Leute, wie ich später erfahre, zumeist Studierende der Unis Bochum und Düsseldorf.
Wozu nun die eingerichteten, leuchtenden Handys? Sie spielen mit: Licht und Sound im Raum werden darüber gesteuert und dann spricht eine Künstliche Intelligenz über die Geräte mit uns. Stellt Fragen, die zunächst mit JA oder NEIN zu beantworten sind, später aber auch kurze Antworttexte erwarten. Doch erst einmal treten zwei Life-Schauspielerinnen auf.
Aus zwei dicken Plastikrohren wabert Nebel auf die Spielfläche und die Performerinnen (virtuos: Marielle Schavan und Sophia Schroth) tänzeln plaudernd darin herum, doch dann kippt die heitere Stimmung. Beiden zeigt sich jeweils eine als der Tod der anderen, der hier und jetzt kommt, um sie zu holen. „Es ist Zeit“, sagt er nur und eine „Tote“ erwidert überrascht und ungläubig, „Ne! Kann nicht sein, wie bin ich so schnell gestorben?“ während sie durchaus weiterhin auf ihren Beinen steht. Dabei empört sie sich, dass ihre Eltern nun über ihre Beerdigung bestimmen müssen, da sie ja nichts vorbereitet hat, dass sie so gar nicht auf dem unattraktiven Dorffriedhof in ihrem Heimatkaff beerdigt sein will. Zwischen dieser und wenigen weiteren Spielszenen werden uns Textnachrichten von der KI gesandt, so fragt sie jeden Einzelnen etwa nach seinem Befinden: „Wie fühlst du dich heute? Hattest du einen Stresstag?“ oder „Bist du gut im Weinen?“ Auch die Frage, die Nelly Furtado in ihrem titelgebenden Song immer wiederholt, erscheint: „Glaubst du, dass alle guten Dinge zu einem Ende kommen?“ Konkreter wird das Thema, wenn nach praktischer Sterbehilfe gefragt wird, ob man sie akzeptiere oder gar dabei helfen würde. Oder ob der Tod eine einsame Erfahrung sei. Es folgt als SMS-Nachricht der Bericht einer Frau über die Totgeburt ihres Kindes und dass sie die kleine Urne jetzt mit ins Bett nimmt. Gespenstig. Gegen Ende des Abends dann werden wir aufgefordert, einen Abschiedsgruß an unsere Freunde vor unserem eigenen Tod zu formulieren. Dabei entstehen eindrucksvolle Bilder, wenn der Nebel farbig wabert oder plötzliche Stille herrscht, die Raumlichter ausgehen und nur die Gesichter der Menschen im Sitzkreis vom Handy-Licht angestrahlt werden. Ein bisschen Black-Box.
All diese Fakten, Berichte und recht persönlichen Fragen, mal auf Englisch, mal auf Deutsch, durch die Technik verfremdet, im anonymisiertem Raum gestellt, erreichten mich allerdings stimmungsmäßig nicht wirklich. Obwohl jeder die gleichen Texte bekommt, erscheint der Einzelne isoliert, mit sich und seinem Gerät beschäftigt. Auch die herumgereichten kleinen Keramiken und faustgroßen Moospolster schaffen keine Atmosphäre meditativer Gemeinschaft, wie sie bei dem Thema denkbar wäre.
Inspiriert wurde das Kollektiv zu der Performance Flames to Dust - Flammen zu Staub von der Bewegung DEATH POSITIVE MOVEMANT, die seit den 1970er-Jahren als Denkrichtung den offenen Umgang mit dem Tod fordert und fördert.