Real-Satire - von der Straße auf die Bühne gebracht
„Ein Schwurbler-Singspiel über Schamanen, Energetiker und Nippies“ nennt das Rabenhof Theater in seiner Ankündigung das Stück, was das asphalt Festival in seinem Programmheft mit „Launigem Milieu-Porno“ toppt. Was also erwartet uns in dem inzwischen denkmalgeschützten, ehemaligen Brotfabrikgelände, in dem das asphalt Festival vor elf Jahren seinen Anfang nahm?
Die ebenerdige Bühne hat eine angedeutete zweite Ebene, dahinter ein Alpen-Video: zweifellos Österreich. Rechts stehen die Instrumente einer Live-Band. Dahinter das Bild einer mannshohen Knospe – oder Vagina? Tatsächlich kommen alle Agierenden aus diesem Spalt auf die Bühne gesprungen.
Da sind zunächst die Schauspielerinnen Bettina Schwarz und Tanja Rauning mit den Kollegen Bernhard Dechant und Alexander Strobele (alle gleichermaßen brillant) , dann folgen die engagierten Musiker der Wiener Indie-Pop- Band „Buntspecht“ (Lukas Klein: Gitarre, Gesang; Jakob Lang: Bass; Florentin Scheicher: Trompete, Melodica; Florian Röthel : Percussion; Roman Geßler: Keyboard) . Alle fünf mischen sich unter die anderen und in der Tat werden sie auch während des Spiels immer mal wieder ihre Instrumente verlassen und in diverse Rollen schlüpfen. Wie wir später im Publikumsgespräch erfahren, waren sie von Anfang an dabei. Stefanie Sargnagel (bürgerlich: Stefanie Sprengnagel) legte den Text vor – größtenteils Fließtext, doch auch schon einige Dialoge und Monologe - und alle gemeinsam machten sich mit der Regisseurin Christina Tscharyiski an die Erarbeitung des Stücks, strichen wohl auch heftig und die Musiker komponierten zu der gemeinsamen Textarbeit auch noch die rasante Musik, die das ganze Stück begleitet.
Über der Bühne schwebt ein Schriftband: ZENTRUM FÜR SPIRITUELLE WEITERENTWICKLUNG. Alle Mitspielenden - auch die Musiker – holen sich weiße Plastikstühle, man bildet einen Halbkreis, zieht Pantoffeln an.
Dann sind wir alle dran: Bettina Schwarz tritt vor, stellt sich als Frau Dr. Gundula Schwarz vor, verspricht „ Befreiung und Lösung von mentalen Problemen, auch von körperlichen Beschwerden“ durch Meditation. Aufwandsentschädigung: 170 Euro pro Sitzung. Werbung wird verteilt. Dann folgen ihre Kommandos: Aufstehen! Einatmen! Ausatmen! Arme Hoch! Sprechen im Chor: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Und siehe da: Fast alle machen mit beim „Wegmeditieren“.
Dann wird auf der Bühne die Aura der Einzelnen erspürt: die Klienten werden – ganz real - an die Wand diskutiert: geben in die Enge getrieben zu, was sie niemals von sich sagen wollten. Am Ende war es die Mutter. Oder der inkontinente Hund. Bedrängung. Manipulation. Ein bisschen bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Zu nah an der Realität ist das alles trotz aller Übersteigerung: Esoterik als Geschäft auf Kosten hilfesuchender Menschen. Sargnagel hat während der Recherche selbst an so einem Aura-Seminar teilgenommen und - wie die Teilnehmenden auf der Bühne - die Veranstaltung nach der Mittagspause verlassen.
Der Schriftzug wird eingezogen, wir sind nicht mehr im Workshop, wir sind inmitten der Szene der Querdenker, vielleicht auf einer turbulenten Demo, bei der sich Esoteriker, Verschwörungstheoretiker, Linke und „Nippies“ ( Neonazis und Hippies) zusammenfinden und den Sieg der Phantasie über die Wirklichkeit einfordern. Bizarre Figuren erscheinen mit Engelsflügeln, Atemmaske oder Indianer-Kopfschmuck. Ein Marterpfahl wird aufgestellt und die Figur daran bekommt die Aufschrift „Dr. Kellermayr“. (Österreichische Ärztin, ein Feindbild der Impfgegner, die in den Suizid getrieben wurde.) Phrasen werden gebrüllt, rassistisch, überdreht. Eine Frau in der ersten Reihe wird angemacht, etwas übergriffig. Die Musik dreht auf, das Licht flackert, ein Stuhl geht zu Bruch
Dann Stille. Man zieht die Verkleidung aus und ist wieder im Workshop. Das Fazit:
„Nippies in die Klangschalen scheißen“.