Tragödie eines Machos
Wenn man Roger im Rottstr5 Theater in Bochum zuhört, muss man einfach zu dem Schluss kommen, dass der Mann eine ziemlich arme Sau ist. Ja, natürlich, Roger leidet an allen möglichen eingebildeten Krankheiten. Ist er deshalb ein Hypochonder? Vermutlich nicht. Roger geht es wirklich schlecht. Er hat seinen gut bezahlten Job und sein tolles Auto verloren, und als seine Ex-Frau nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes eine postnatale Depression bekam, war das sehr belastend für ihn. Zu allem Überfluss hat sich seine Freundin neuerdings dem Feminismus zugewandt und will sogar #MeToo-Fälle aufklären respektive einen Kollegen der sexuellen Belästigung überführen. Da kriegt die Kerstin aber richtig Krach mit Roger! Schließlich hat sich die Welt auch noch so schrecklich verändert: Überall werden die Frauen bevorzugt. Ja gut, Männer verdienen mehr, aber was nützt das, wenn das Geld sofort für die Frauen ausgegeben wird (oder an sie abgegeben werden muss). Männer arbeiten mehr als Frauen - aber es sind die Frauen, die für ihre Belastbarkeit gelobt werden. Dabei gibt es nicht nur in den Führungspositionen einen Männer-Überschuss, auch die Scheiß-Jobs werden nur von Männern gemacht. Oder haben Sie schon mal was von Müllfrauen gehört?
Jetzt endlich hat Roger seinen Erlöser gefunden. Aggro Alan, ein Pionier der Männerrechtsbewegung, gibt Roger im Kampf gegen den gynozentrischen Sexismus sein Selbstbewusstsein zurück. Alan ist in den sozialen Medien aktiv und tritt als Redner bei einer „Konferenz für Männerrechte“ auf. Es gibt noch Hoffnung für die verkannten Helden dieser Welt.
Ein obskurer Internet-Aktivist wird zur bewunderten Leitfigur einer verwirrten Minderheit? So kann man das sehen. Natürlich geht das nicht gut aus für Roger, der immer realitätsfremder wird. Gesellschaftliche Veränderungen kann er nicht akzeptieren. Sein Misstrauen gegenüber Frauen wird pathologisch, das Wiedersehen mit seinem schwulen Sohn zum Desaster. Penelope Skinner hat einen pointenreichen, in Teilen provokanten Monolog geschrieben, der irgendwo zwischen feministischer Farce und satirischer Tragödie schillert. Die Autorin erzählt ihre Geschichte mit Witz und Empathie, ohne ihr gesellschaftspolitisches Anliegen zu verraten. Das Denken, das Roger offenbart, ist selbstverständlich abstrus. Männer wie Roger sind abstoßend. Und dennoch empfindet man häufig Mitleid mit dem Protagonisten, der an seinem gestörten Selbstbewusstsein zerbricht. Matthias Hecht spielt diesen gestörten Charakter mit all seinem Machismo und all seinen verdrängten Ängsten brillant. Niemals lässt er Zweifel daran, dass es verquere Typen mit solchen abstrusen Vorstellungen in der realen Welt tatsächlich gibt. Mal wütend, mal verunsichert, mal von oben herab, mal schwitzend verhilft Hecht Skinners Text zu grandioser Wirkung. Doch gleichzeitig spielt er die Figur nicht ohne Humor. Als Verwirrter im Geiste wird Roger nicht diskriminiert. Aber seine Verwirrung und die von Teilen der Gesellschaft wird gnadenlos demaskiert.
Es heißt, Penelope Skinner sei durch die Figur von Donald Trump zu ihrem Text inspiriert worden. Die offensichtliche Verführungskraft, über die ein Donald Trump bei großen Teilen der amerikanischen Wählerschaft nach wie vor zu verfügen scheint, nimmt man Aggro Alan (zumindest in seiner Interpretation durch Matthias Hecht) allerdings nicht ab. Aber kann irgendjemand in Deutschland die Verführungskraft des amerikanischen Ex-Präsidenten nachvollziehen? - Die Inszenierung ist schon dreieinhalb Jahre alt, aber nicht zuletzt wegen solcher Arbeiten zählt Damian Popp inzwischen zu den besten Nachwuchsregisseuren in NRW.