Übrigens …

Moby Dick im Mülheim, Theater an der Ruhr

Der weiße Wal im Teich hinterm Theater

Verändere dein Bewusstsein“, fordert das Theater an der Ruhr zur Spielzeiteröffnung und stellt die ersten vier Inszenierungen unter den Titel RAUSCH 1. Dabei wird der Begriff weit gefasst, umfasst körperliche und seelische Trunkenheit, kann Ekstase, High, Trance, Besessenheit oder Furor meinen (so im Begleitmaterial). Nach der grandiosen Open-Air-Inszenierung „Die Bakchen“ und der Uraufführung des Trance-Rituals „Bromio“ folgt die Auseinandersetzung mit der Besessenheit des Kapitäns Ahab aus dem Roman Moby Dick. Das Ensemblemitglied Maria Neumann greift aus den 135 Kapiteln des 1851 in London erschienenen Opus von Herman Melville das Kapitel „Die Jagd“ heraus und adaptiert es zusammen mit Bekim Aliji für die Bühne. Das Schiffspersonal wird auf zwei Personen gestrafft, es bleiben der Captain, den Maria Neumann selbst grandios übernimmt (wie übrigens auch die Regie) und der Schiffsjunge Pip, den Bekim Aliji als besorgten Begleiter überzeugend gibt, wenn er auch in vielem Ratschlägen an den nüchtern-rationalen Steuermann Starbuck im Roman erinnert.

Doch so weit sind wir noch nicht. Das Ganze soll am großen Teich im Raffelbergpark, gleich hinter dem Theatergebäude spielen und das Premierenpublikum hat Glück: Eine Stunde vor Beginn hat es zu regnen aufgehört. Für die nassen Bänke liegen Plastik-Kissen bereit.

Während der Einlass läuft und sich rechts und links der Spielfläche die Biergarten-Bänke füllen, schwimmt mitten im Teich ein unbestimmtes Wesen: ein weißer Kopf und dunkle Dreiecke, vielleicht die Flossen des Wales? Dazu ein Stöhnen und Töne wie Walgesang. Das Wesen schwimmt weiter im Weiher, während sich auch an Land einiges tut.

Dem Ufer gegenüber vor einer schwarzen Wand mit riesigen weißen Spiralen spielt Matthias Geuting auf dem Elektroklavier. Daneben füllt ein Barkeeper hinter einer kleinen Bar diverse Getränke in bereitstehende Gläser. Irgendwann wird uns allen ein Drink gereicht, doch in den Schnapsgläsern ist nur Sprudelwasser. Alle Gestalten sind weiß geschminkt und tragen Strickmützen mit langen weiß-blonden Haaren und alle spielen phantastisch, zwischendurch auch mal (freundschaftliche) Mannschaftsmitglieder.

Eine geheimnisvolle Frau, Evelin Degen, die später auf einer riesigen Kontrabassquerflöte schwermütige Melodien blasen wird, greift zum Mikrophon und beginnt in rasantem Tempo über das Mysterium der Wale zu berichten, die Sängerin Evelin Degen fügt die Besonderheiten unseres Helden Moby Dick hinzu und Matthias Geuting erzählt die dramatische Geschichte vom Unfall des Kapitäns Ahab, bei dem ihm der Weiße Wal das Bein „abmähte“. „Seitdem dürstete Ahab nach Rache. Der Weiße Wal war ihm die Verkörperung alles Bösen. Er wurde wahnsinnig“ vor Hass und Wut.

Jetzt taucht Kapitän Ahab auf, Pip holt ihn aus dem Wasser. Sogleich beginnt er, den Weißen Wal zu verfluchen, doch dann kippt seine boshafte Stimme und verhalten fragt er sich selbst, was ihn da treibt, ob es am Ende Gott sei, der in seinem „Herzen schlüge“ und in seinem „Hirn dächte“. Pips Versuch, rational zu überzeugen, bleibt vergeblich.

Zweimal steigt mitten im Teich die Fontäne auf, Ahab sieht darin die Sprühfontäne des Wals, gibt nicht auf, wagt den Kampf. Am Ende kriecht er sein Leben und seinen Tod beklagend an Land. Zieht seine Kleidung aus und begießt sich mit weichem Lehm. Eine erbärmliche, bemitleidenswerte Figur.

In dieser Aufführung ist Ahab nicht der tobende Tyrann, der blutrünstig und besessen auf seine Untergebenen einpeitscht. Er ist der Getriebene, der mit sich selbst Hadernde und an sich selbst Verzweifelnde, dem nicht zu helfen ist. Nicht mit Verständnis. Nicht mit Freundschaft. Nicht mit Vernunft. Der Weiße Wal ist sein Trauma, von dem er nicht loskommt, er steht für alles Ungemach, was ihm geschieht, was ihn vergiftet, sein Herz zum „Höllenherzen“ macht.

Das äußere Ambiente: der Teich als Ozean, der Springbrunnen als Walblas gibt dem Ganzen etwas Absurdes, unterstreicht die Sinnlosigkeit dieser tragikomischen Jagd.

Um die Donquichotterie des Geschehens deutlich zu machen, hätte es zum Schluss der Aufführung des Liedes „Ein Hund kam in die Küche…“ allerdings nicht bedurft. Dafür gab es zuviel gute Texte im Stück.