Übrigens …

Einer fog über das Kuckucksnest im Theater an der Meerwiese Münster

Ein Film, ein Stück und pure Emotionen

McMurphy mischt die Bude gewaltig auf. Breitbeinig betritt er die geschlossene Abteilung einer Psychiatrie und stellt klar, dass es ab jetzt nur er sein wird, der den Ton hier anzugeben gedenkt. Und klar haben alle die, die den Film Einer flog über das Kuckucksnest kennen, Jack Nicholson vor Augen. McMurphy nimmt nach kurzem Check der Situation den Kampf auf gegen die despotisch herrschende Schwester Ratched, deren Macht sich auf Manipulation und Gewalt gründet.

Für die neue Produktion des Theater X hat dessen Spiritus Rector, Alexander Becker, Dale Wassermans Text stark gekürzt und einer „Frischzellenkur“ unterzogen. Das ist sehr lobenswert und angebracht, denn der Text wirkt insgesamt doch sehr in der Zeit der 1970er Jahren verhaftet. Das trifft vor allem auf den ersten Teil zu, den Becker auf einer bis auf einen Tisch mit Stühlen leeren Bühne inszeniert. Von rechts kann das Pflegepersonal die Patienten durch eine Glasscheibe beobachten. Allein diese Tatsache unterstreicht das Unmenschliche der ganzen Situation: Hier werden Menschen zu Tieren degradiert, die man hinter Glas wie im Zoo begaffen kann.

Insgesamt kommt die erste Stunde dieses Abends aber dann doch wie eine extralange Exposition daher. Die Krankheiten der Patienten werden ausführlich geschildert und der Kampf zwischen Ratched und McMurphy geht in die erste Runde. Das passiert alles nicht ohne komische Situationen, hätte durchaus aber auch in geraffter Form daher kommen können. Hier klebt die Produktion einfach zu sehr am Film. Außerdem wirken McMurphy‘s Machismen dann doch arg aus der Zeit gefallen.

Das alles ändert sich im zweiten Teil schlagartig: Aus den Patienten, aber auch aus McMurphy und Ratched, brechen Emotionen sich Bahnen, überströmen die Szenerie und nehmen das Publikum sofort gefangen. Das Ensemble des Theater X kann hier seine Qualitäten voll ausspielen. In Einzelleistungen, vor allem aber in hervorragendem Zusammenspiel werden die Gefühlsströme kanalisiert und zugespitzt. Man spürt gegenseitiges Vertrauen. Alle können Gefühle herauslassen und werden von anderen aufgefangen. Das überträgt sich direkt auf das Publikum, das ganz unmittelbar im Lessingschen Sinne gar nicht anders kann als „mitzuleiden“. Das nebenbei noch barbarische Elektroschocks und auch Lobotomie als damals durchaus ernst genommenes „Heilmittel“ angeprangert werden, wirkt wie ein zusätzlicher Schlag auf den Kopf und steigert die Wirkung des intensiven Spiels der Akteur*innen. Am Ende sind zu konstatieren ein Suizid, eine Sterbehilfe aus Mitleid und eine Flucht aus der „Geschlossenen“, die ein wenig Hoffnung macht.