Es leben und sterben eben immer die Falschen
Dunkle Bühnenwände umschließen eine steingraue Schräge, die zum größten Teil von einem Trichter ausgefüllt ist, dessen Grund man aus den vorderen Reihen gar nicht sieht. Film- und Buchtitel drängen sich auf: Liebe am Abgrund - Tanz auf dem Vulkan, in der Tat ist das Geschehen dann fast den ganzen Abend von Bühnen-Nebel überwabert. Doch vor dem Tanz gibt es das Sterben am Abgrund: ein Knall - ein Sturz - Musik. Aber der Tote spricht noch, es ist Stephan Labude (überzeugend gegeben von Sören Wunderlich), Freund des Titelhelden Dr. Jakob Fabian, ein betrogener Liebhaber und enttäuschter Wissenschaftler. Wie er es selbst zusammenfasst: „Ein in den Fächern Liebe und Beruf durchgefallener Menschheitskandidat“. Am Rand des Abgrunds hockend, legt er seine Motive in einem Brief an den Freund nieder, der dann erscheint und gute Einwände dagegen vorbringt. Allerdings zu spät. Diese Sterbeszene, die in Kästners Roman später vorkommt, setzt der Regisseur Martin Laberenz in seiner Adaption an den Anfang, lässt sie dann allerdings noch zweimal wiederholen und außerdem den Toten während der gesamten Spielzeit als höchst lebendigen Gestorbenen mitspielen. Er vertritt seine Thesen, begründet seinen Suizid, um dann in der letzten Szene zu erfahren, dass er einem bösen Witz seines Neiders zum Opfer fiel. Dass er wissenschaftlich nicht versagt, sondern überzeugt hätte. Zu spät.
Was bis dahin geschah, ob die Bar- oder Bordell-Szenen, bleibt blass, im wahrsten Sinn des Wortes an die Wand gespielt. Auf schmalem Bühnenrand (Bühne: Oliver Helf) tauchen die Damen in Glitzerkleidern auf, sprechen kluge Kästner-Sätze, berichten selbstbewusst von impotenten Lebegreisen oder dem Ehemann, dem „sozusagen mein Unterleib über den Kopf wuchs“. Für die Bemerkung, „eher begehrlich als begehrenswert“ sein zu wollen, gibt’s Applaus für den Autor (und wohl auch für die Frau, die spricht). Doch trotz guter Texte, erreichen sie alle das Publikum nicht wirklich.
Es gibt Lacher, wenn einer den Trichter hinunterrutscht und Staunen, wenn er oder sie ihn mit Schwung hinaufklettert - oder gar Szenen-Applaus für einen Slapstick mit der „Leiche“, die nach der Suizid-Wiederholung partout nicht oben am Rand liegen bleiben will. Etwas albern, vielleicht sogar geschmacklos die Szene, in der dem Kriegsverletzten allerlei Geräte, schließlich ein Schwert aus der Wunde am Hinterteil gezogen wird.
In der fünften Szene schreit eine Frau auf dem Boden des Kessels in einer Begegnung mit Fabian: „Hilfe! Ich ertrinke! Du musst mich retten!“, für Kenner des Romans wohl eine Anspielung auf dessen Schluss: Kästner lässt seinen Fabian bei dem Rettungsversuch eines Um-Hilfe-Rufenden ertrinken.
Laberenz‘ Fabian darf überleben. Der promovierte Germanist, der zunächst „helfen möchte, die Menschen anständig und vernünftig zu machen“, verliert mehr und mehr „den Respekt vor dem Leben“, das er nur noch „als Nebenberuf“ betreiben und bei all den anderen beobachten will. Er ist sich sicher, dass es nicht sein Part sein sollte zu leben, sondern der seines (bereits toten) Freundes Stephan Labude. „Es leben und sterben eben immer die Falschen“, resümiert er lakonisch und beschließt, in die Berge zu gehen. In all den Episoden bleibt Christian Czeremnychs Fabian jedoch farblos. Auch aus dem Monolog seiner Tätigkeiten, die wohl so an die vierzig reichen, weiß er nicht recht was zu machen. Und seine Nacktszene - ein überzeugendes Bild für das Ablegen seiner Hoffnungen und der Wandlung zum Realisten - bleibt so ganz nebenbei. Hinzu kommt, dass ohne Mikroport gespielt wird, und dadurch immer mit viel Power gesprochen werden muss, was zu einer gewissen Undifferenziertheit führt. Eine Fülle von Themen wird angerissen, auch die Männer sprechen kluge Kästner-Sätze zum Thema Macht und Vernunft, über Indolenz und Idiosynkrasien (Ekel und Schmerz), doch das alles bleibt kraftlos.
Die Erwartungen waren hoch für alle, die den Roman kennen. Es geht um die Adaption eines Buches, das 1931 als anarchistisch, sexuell freizügig, frivol und respektlos diffamiert und zensiert wurde und erst 2013 im Kästnerschen Volltext verlegt werden konnte. Ein Buch, das die Nazis als eine „entartete Sudelgeschichte“ am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz im Beisein von Erich Kästner verbrannten und das der Autor selbst einmal humorvoll eine „satirische Übertreibung“ nannte.
Aus all dem wusste Martin Laberenz mit dem Bonner Ensemble nichts Aufregendes zu machen. Der Regisseur, der bewundert wird für seine drastischen Inszenierungen, in denen er die Figuren „manchmal bis an den Rand des Wahnsinns treibt“ (Google), liefert ein recht braves Stück ab.