Ist es möglich, genial und zugleich böse zu sein?
Das Düsseldorfer Schauspielhaus eröffnete die Spielzeit 2023/2024 mit dem Königsdrama Richard III.. Regie führte – wie schon bei Macbeth – Evgeny Titov. André Kaczmarczyk spielte auch dieses Mal die Hauptrolle. Wie sich bei dieser herausragenden Inszenierung zeigte: ein „Dream Team“ in der Zusammenarbeit. Für die Zukunft ist ein weiteres Königsdrama dieser Shakespeare-Trilogie geplant.
Titov erzählt in einer auf zwei Stunden gekürzten Fassung äußerst eindrücklich die Geschichte des genialen Bösewichts Richard, der alle Mittel einsetzt, um sein Ziel – er will König werden – zu erreichen. Nicht äußerlich deformiert, wie Shakespeare ihn entwarf, wohl aber innerlich in seinen Gefühlen für andere. Mit Heucheleien, skrupellosen Intrigen und strategischem Geschick bahnt er sich unaufhaltsam den Weg zum Königsthron. Alle, die vor ihm einen dynastischen Anspruch auf die Krone haben, werden brutal gemeuchelt.
Wie heißt es schon im Eröffnungsmonolog des Protagonisten, der sich wie folgt beschreibt: „Ich roh gehauen, fein geschnitten nicht, den die Natur um Schönheit betrog.“ Und seine für ihn logische Schlussfolgerung daraus lautet: „Weil ich den Liebhaber nicht spielen kann, habe ich beschlossen, hier den Dreckskerl aufzuführen.“
Der Abend beginnt in einem kargen Raum, der an eine Gefängniszelle erinnert. So scheint es auf den ersten Blick. In der Ecke ein Lumpenhaufen. Dann betritt Hastings (Blanka Winkler), die Vertraute Richards, die Szene. Sie bringt Richard (André Kaczmarczyk), denn er verbirgt sich unter diesen Fetzen, neue Kleider und vor allem goldene Stiefel der besonderen Art. Sehr hohe Plateausohlen, aber keine Absätze. Es erfordert akrobatisches Können, sich darin zu bewegen. Was dieser Ausnahmeschauspieler scheinbar mühelos bewältigt. Sie erlauben jedoch nur einen gekrümmten Gang, der Richards körperliche Deformation unterstreicht. Zudem wurde ein Netz über sein Gesicht gezogen, eine zusätzliche Verfremdung und Betonung der Hässlichkeit. Ein Spiegel seines wahren Charakters, ist er doch kaltblütig und zugleich intelligent genug, um mit allen Mitteln seine Ziele zu erreichen. Seine physische Hässlichkeit scheint ihn sogar fast begehrenswert zu machen. Zumal er den Frauen, die er durch Mord an ihren Gatten zu Witwen gemacht hat, mit überzeugenden Schmeicheleien zu umgarnen und zu täuschen weiß. Da ist Königin Margaret, Witwe König Henrys VI. (Friederike Wagner), die Richard verflucht: „Du Glückszertrümmerer“. Lady Anne (Claudia Hübbecker), Schwiegertochter Henrys VI., Witwe des Kronprinzen Edward von Westminster, lässt sich nach anfänglichem Zögern sogar auf sein Werben ein und heiratet ihn. Seine Mutter, die Königin- Großmutter (Manuela Alphons) dagegen verflucht ihrem Sohn: „Ich bin die Mutter aller Schmerzen.“ Judith Rosmair überzeugt als Königin Elisabeth, Frau König Edwards IV., die sich durchaus auf gleichem Niveau verbale Schlagabtausche mit Richard liefert. Letztlich aber immer im Zentrum ein genialer André Kaczmarczyk, der die Szene beherrscht und mit allen nur erdenklichen Mitteln versucht, sein Ziel zu erreichen.
Die schwarzen Särge seiner Opfer, deren Zahl immer mehr zunimmt, sind ein beklemmendes und drastisches Bild seines „Erfolgs“. Und doch: Am Ende finden sich die Frauen in einer ungeahnten Solidarität zusammen und überwinden dieses Monster.
Ein ungemein beeindruckender, intensiver Abend über einen skrupellosen, machtgierigen Tyrannen, dessen Mittelpunkt zweifellos André Kaczmarczyk ist. Standing Ovation für Regie, Ensemble und André Kaczmarzyk.