Alkohol zur Optimierung von Leistungen in der Schule - ein ungewöhnliches Experiment
Thomas Vinterbergs Film „Rausch“ (2020) war überaus erfolgreich und gewann u.a. den Oscar für den besten internationalen Film. Vinterberg schrieb auch die Bühnenfassung zu Rausch, die jetzt am Grillo-Theaterin Essen von Armin Petras als deutschsprachige Erstaufführung inszeniert wurde.
Wir lernen vier Lehrermittleren Alters kennen, die alle in einer Midlife-Krise stecken. Sie alle sind durchaus ambitioniert, sowohl einen guten Unterricht zu machen, was die Vermittlung von Fachwissen betrifft, als auch ein Vorbild für die Schüler zu sein, die spüren sollen, wie wichtig ein guter Unterricht auch für den Lehrer selbst ist. Diese Vier sind davon überzeugt, dringend neue Impulse zu brauchen, sowohl in der Schule wie auch privat, obwohl sie bisher durchaus pflichtbewusst und engagiert unterrichtet haben.
Ein mehr als ungewöhnliches Experiment soll ihnen helfen, wieder effektiven und guten Unterricht zu machen. Worauf sie sich auf die These des norwegischen Philosophen und Psychiaters Finn Skarderud einlassen, der nach der Untersuchung vieler Kunstwerke, die unter Einfluss von Alkohol entstanden sind, zu dem merkwürdigen Schluss kam, dass ein halbes Promille am Tag nur Intuition und Effektivität fördern kann.
Die vier Pädagogen beschließen, nur in der Schule zu trinken, um den Versuch als solchen ernst zu nehmen. Sie wollen alle ihren Unterricht, der ihnen sehr wichtig, ist geistreicher und effektiver machen.
Armin Petras lässt die Handlung in einer neutralen, schmucklosen Kastenbühne spielen, nur wenige Stühle sind die Requisiten. Klar, es ist ein Lehrerzimmer. Auf eine Leinwand werden zuweilen Kurven für den Geschichtsunterricht projiziert, ab und an ertönt ein typischer Schulgong. Stefan Diekmann überzeugt als Geschichtslehrer Martin. Mathias Znidarec ist Nikolaj, ein Philosophielehrer im konservativen dunkelbraunen Anzug mit Weste und Krawatte („Was ist Jugend? Ein Traum“). Torsten Kindermann, im blassen beigen Anzug, gibt den gewissenhaften Musiklehrer Peter, der sich häufig ans Klavier setzt. Diesen drei Pädagogen glaubt man ihr Engagement, wogegen Mansur Ajang als Sportlehrer Tommy von Anfang an eher ein mehr exotischer Außenseiter zu sein scheint, nicht nur von der Kleidung her. Dennoch starten sie gemeinsam das Experiment in der Hoffnung, mehr leisten zu können. Zunächst stellt sich auch Erfolg ein. Sie sind entspannter und können so schulische und häusliche Probleme zumindest besser erkennen und z.T. auch angehen. Doch es bleibt nicht dabei. Streng protokolliert (Teil 2: Das individuelle Promille oder Teil 3: Das maximale Promille) steigern sie den Alkoholkonsum. Tommy verhält sich als erster immer exzentrischer und ausgeflippter. Aber auch die anderen können nicht mehr auf die Droge verzichten und stürzen ab. Am Ende wälzen sich sie sich alle in bunter Farbe auf der Erde,
Petras ergänzt seine Inszenierung mit Videofilmen, die u.a. die Abschlussfeier einer Schulklasse zeigen, die von maßlosem Alkoholkonsum begleitet wird. Nötig wären diese Videos nicht gewesen, da Torsten Kindermann, musikalischer Leiter und Mitspieler, die hervorragende Idee hatte, Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums an der Wolfskuhle in Essen durchgängig präsent zu halten. Sie sitzen im Zuschauerraum, singen, spielen kleinere Rollen und vermitteln authentisch, wie ein Lehrer doch immer auf dem Prüfstand ist.
Insgesamt ein sehr beeindruckender Abend mit hervorragenden Schauspielern, der den Alkoholgenuss nicht generell verteufelt, aber auch nicht als Lösung für wesentliche Probleme bejubelt. Sicher für manche ein Mittel, wenn in Maßen genossen, um lockerer zu sein. Auch mal im Unterricht. Sicher keine Ideallösung.
Positiv auch, dass hier Lehrer, die ihren Beruf ernst nehmen und es besser machen wollen, als Protagonisten gewählt wurden.
Es lohnt sich unbedingt, diesen Abend, den das Premierenpublikum mit reichlich Applaus belohnte, anzuschauen.