Übrigens …

Der zerbrochne Krug im Neuss, Rheinisches Landestheater

Ein Fallbeispiel für den Missbrauch der Obrigkeit

In Husum, einem Provinzdorf bei Utrecht, ist die Welt aus den Fugen. Ein unerlaubter Besucher hat sich nächtens in Jungfer Eves Kammer geschlichen und bei seiner überstürzten Flucht einen kostbaren Krug vom Sims gestoßen. Nachbarssohn Ruprecht, Eves Verlobter, bestreitet die Tat ebenso hartnäckig, wie Eve schweigt. Wer soll ihrer resoluten Mutter Marthe Rull nun den Krug und die Ehre der Tochter wieder herstellen? Es hilft nichts, die Sache muss vor Gericht.

Dorfrichter Adam, übel zugerichtet nach turbulenter Nacht, verzichtete nur zu gerne auf dieses Spektakel aus eigennützigen Gründen. Zu allem Überfluss hat sich Gerichtsrat Walter zur Revision angekündigt. Er will aufdecken, wer den Krug zerbrochen hat, und Adams Amtsführung überprüfen. Pflichtvergessene Juristen sind sie beide. Der Dorfrichter Adam, für den das Richterhandwerk weniger durch Bemühen um Recht und Gerechtigkeit als vielmehr durch Beliebigkeit und Willkür gekennzeichnet ist: Ein gerissener und phantasiereicher Betrüger, der trickreich versucht, Lücken im Gesetz für sich auszunutzen. Für Gerichtsrat Walther sind die „Ehre des Gerichts“, die Macht und die Autorität der Rechtspflege wesentlich wichtiger als Recht und Gerechtigkeit selber.

Der zerbrochne Krug wurde 1808 uraufgeführt. Und doch enthält das Stück Themen wie Erpressung, Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe, die heute nach wie vor brisant sind. Ekat Cordes inszenierte das Werk auf eine erfrischende Weise. Das Bühnenbild zeigt keine verstaubte Amtsstube, wie man es von anderen Inszenierungen kennt. Wir sehen eine Bühne auf der Bühne, der Gerichtssaal erscheint nicht naturalistisch, sondern eher wie Teil eines überdimensional großen Puppentheaters. Alles, auch die Kostüme, ist in Froschgrün gehalten. Vor Spielbeginn ruft Carl-Ludwig Weinknecht (er spielt den Dorfrichter Adam) die Mitwirkenden vor den Vorhang und verteilt die Rollen. Wobei der Gerichtsrat Walter (Juliane Pempelfort) und der Schreiber Licht (Fenna Benetz) von Frauen gespielt werden. Aus Frau Brigitte wird Herr Brigitte (Stefan Schleue). Diese Gegenbesetzung der Rollen trägt auch zu einem neuen Blick auf das Stück bei. Ebenso wie das „Nachspiel“, bei dem Weinknecht sich als neuer Intendant vorstellt, der sein Stück, „Den zerbrochnen Krug“, inszenieren und sich erst einmal nur mit der jungen Eve-Darstellerin besprechen will.

Insgesamt glänzt das hervorragende Ensemble durch Spielfreude. Weinknecht ist zweifelsohne ein köstlicher Dorfrichter Adam, der vergeblich versucht, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Pempelfort überzeugt als strenge Frau Gerichtsrat; ebenso Fenna Benetz, seriös mit Frack und Zylinder, als ehrgeiziger Gerichtsschreiber. Großes Lob für Hergard Engert als Marthe Rull, die theatralisch den zerbrochenen Krug bejammert und komisch und fanatisch ein Urteil begehrt. Nelly Politt als Eve: sie erinnert mit ihren roten Zöpfen an Pippi Langstrumpf, und Johannes Bauer als Ruprecht spielen engagiert, haben aber de facto nur kleine Rollen.