Ein Gottesdienst ohne Gott
Ein kahler weißgetünchter Raum, in der Mitte ein schmales Spitzbogen-Fenster: ein bisschen Gotik, ansonsten IKEA-Ästhetik. Später werden Altar und andere Requisiten in großen Pappkartons reingeschoben und nach „Anleitung“ ausgepackt - wie auch das ganze Stück nach Anleitung abläuft. Sie umfasst zehn „Bilder“, ist dem Text vorangestellt und auch im Programmheft abgedruckt. Bild 1: „Keine Sorge! Sorg dich nicht, sei unbesorgt, wehe du sorgst dich!“ umfasst das gesamte Thema des sogenannten Gottesdienstes. Es bildet zugleich den Anfang des Stücktextes und wird unzählige Male wiederholt und variiert. Irgendwann erfahren wir, dass die Anleitung gleichsam das Evangelium dieser neuen Religion ausmacht. Darin liegt ihr Anspruch, allerdings zeigt sich darin auch von vorn herein ihre Dürftigkeit.
Doch zunächst mal gibt’s opulente Bilder: der kahle Raum füllt sich mit zwei Chören (Chor der Robert-Schumann-Hochschule und Junger Kammerchor Düsseldorf), schwarz-lila kostümierte Figuren, vor dem Gesicht transparent goldglitzernde Masken mit Sonnensymbolen - die dann auch überall auf den Kostümen und Requisiten auftauchen. Davor gleiten vier Priestergestalten unter aufsteigendem Rauch und zu feierlicher Orgelmusik auf die Bühne - zwei weiblich, zwei männlich - in grandioser Kostümierung, in bodenlangen Gewändern mit viel Lila, einer Mitra oder nonnen-ähnlicher Haube als Kopfschmuck: das alles erinnert fatal an Rituale traditioneller Religionen, an bischöfliche Chorkleidung, Weihrauch und Kirchenmusik. Das Publikum reagiert mit Gelächter, versteht das Ambiente offensichtlich als Parodie traditioneller religiöser Gebräuche. Dabei soll es sich ja eigentlich nicht um eine Kirchenkritik, sondern um eine Neuschaffung handeln. Neu, heutig ist da gar nichts.
Dann senkt sich aus dem Bühnenhimmel ein großes hellblaues Ei herab, die Priesterschar (Minna Wundrich, Jürgen Sarkiss, Caroline Cousin, Kilian Ponert) bricht ein Loch in die Schale und verzehrt sie: ein leicht bekleidetes junges Menschenwesen (Lioba Kippe) entsteigt dem Ei, begrüßt uns jovial mit „Hallo, ich bin geboren, geschlüpft, neu“, nennt sich „Das Wunder“, und erklärt „Wollust, Völlerei und Faulheit“ zu seinem Lebensziel. Später im Stück behauptet es, das alles gehabt zu haben, verabschiedet sich mit den Worten: „Ich bin alt. Ich muss gleich sterben. Nicht für eure Sünden, sondern nur einfach so.“ Wenn das Wunder dann kurz vor Schluss, offensichtlich wiedergeboren, von oben herab erneut auf der Bühne erscheint, erklärt es schlicht: „Ich bin wieder da! Ich habe die neue Welt dabei.“
Nicht zu übersehen an dieser Figur die oberflächliche Anleihe an der Jesus-Gestalt. Ansonsten gibt es nichts Jenseitiges, keine Schöpfer- oder Gottesfigur. Lediglich taucht im 7. Bild eine „SIE“ auf, deren Zorn der Mensch zu fürchten hat. Was das bedeutet, und was der Mensch, der als „klein und unwichtig“ vor IHR bezeichnet wird, zu „befürchten“ hat, bleibt ungeklärt. Alles trudelt so an der Oberfläche dahin: die „vollkommene Unordnung“ der Welt, in der Greta Thunberg 500 000 000 Liter Benzin trinkt, oder die versprochene Ordnung, in der eine Oma Lieblingsgerichte kocht (diese Oma am Kochtopf müssen wir wohl ein paar Generationen rückwärts suchen!)
All diese Schein-Weisheiten werden als „Predigten“ laut proklamierend mit unnatürlich monotoner, irgendwie künstlicher Stimme vorgetragen. Ganz gleich ob die Priesterin des Unkomplizierten beklagt, dass es „zu viele Geschlechter, zu wenig Geschlechter, Stress von überall“ gibt und gegen ihre Angst „einen Fahrradhelm fürs Herz „und „Knieschoner für die Seele“ einfordert, ob über Adam und Eva getönt wird oder am Ende dann doch einem DU für alles gedankt wird.
Dazu ganz viel feierliche Musik, die an Altbekanntes erinnert - sogar ein bisschen Palestrina zitiert - und doch schon anspruchsvoller gehört wurde. Zum Schluss dann das Lied „Viva forever“ der Spice Girls, die für Girl Power stehen: nicht eben geeignet als Motto einer neuen Religion, vielleicht ein bisschen nahe am Kitsch.
„Bis nächste Woche“ lautet der Schlusssatz. Das erinnert an den Wunsch des Autors Ben Park, der mit seinem Theaterabend - den er als Gottesdienst verstanden haben will - erreichen möchte, dass das Publikum am Ende des Abends bedauert, „dass es diese Religion nicht gibt“, da man gern ein Teil davon wäre.
Nein, ich nicht! Nicht nur die fehlende Transzendenz, die unbegründeten Behauptungen, die Anleihen am Christentum, auch die sprachliche und philosophische Unbekümmertheit lassen mich da draußen. Schon der Titel wirft Fragen auf: Sorge als Bangigkeit, als Selbst-Sorge oder als Fürsorge? Die Philosophie billigt der Sorge große Bedeutung zu: ob in Platons sokratischen Dialogen oder bei den Epikureern taucht sie als Lebensführungs-Element auf und viel später bestimmt auch bei Heidegger die Sorge das Dasein des Menschen. Weniger positiv erscheint sie bei Goethe, da schleicht sie in Faust II durchs Schlüsselloch und übt „in verwandelter Gestalt grimmige Gewalt“. Das wäre nahe bei Benn Parks Begriffsverständnis, allerdings kann Faust sie nicht loswerden. Wie das zu schaffen ist, verrät uns allerdings Benn Park in seinem Stück nicht: es bleibt bei der Aufforderung: „Sorg dich nicht, sei unbesorgt!“ und der Drohung: „Wehe du sorgst dich!“
Mit diesem bis zur Ermüdung wiederholten Anliegen begibt er sich zwar aus dem traditionell religiösen Dogmenbereich, streift aber (vermutlich unbemerkt) uralt philosophisches Denken.
Das Premierenpublikum wurde nicht befragt, ob es Teil sein möchte. Immerhin wurde viel gelacht und am Ende ausgiebig geklatscht.