Übrigens …

Eigentum (let’s face it we’re fucked) im Köln, Schauspiel

Die Erde schlägt zurück

Gott sprach: „Macht euch die Erde untertan.“ Und der Mensch machte sich ans Werk: Er unterwarf sich den Planeten und begann zu herrschen über alle Fische des Meeres und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht. Sowie möglichst noch über seine Mitmenschen, denn Krone der Schöpfung ist man nicht ohne Macht - und erst recht nicht ohne Eigentum. Wie sang einst Udo Jürgens in einer seiner populistisch vereinfachenden, aber gut gemeinten Pop-Balladen: „Wir fragen nicht, wir nehmen, wir leben uns're Gier / Denn nach uns kommt die Sintflut, doch erstmal kommen wir.“ Der ranschmeißerische österreichische Unterhaltungskünstler Jürgens hatte das gleiche Problem erkannt wie sein intellektueller auftretender Landsmann Thomas Köck knapp 25 Jahre später. Die Sintflut kommt irgendwann, oder die große Trockenheit, oder die große Explosion - der Endknall nach dem Urknall. Denn manchmal schlägt die Erde zurück.

Das musste wohl schon James Cook erfahren, der 1773 auf einer Expedition in den Südpazifik eine Vulkaninsel entdeckte, die, kaum hatte er sie für sich und sein Land in Besitz genommen, Feuer spuckte. 1773 traf es nur einige Individuen: Die glühende Lava schickte ein bisschen „Gift in den Himmel“ und kostete den einen oder anderen der tapferen Entdecker das Leben oder zumindest ein Auge, was den imperialistischen Auftraggebern vermutlich ziemlich egal war. Ob das vor 250 Jahren in der Südsee in den Himmel geschickte Gift schon ursächlich für den Klimawandel war, lassen wir mal dahingestellt - freuen wir uns einfach, dass an dieser Stelle auf größere Kolonialismus-Diskurse verzichtet wird. Aber es wird eine Spur gelegt: Die Natur wehrt sich. Und Eigentum, Inbesitznahme aus egoistischen Motiven ist vom Übel. Den Gedanken fand Köck, wie er in einem im Programmheft abgedruckten Interview verrät, auf einer Fahrt mit der notorisch verspäteten Deutschen Bahn bestätigt: Er führt die Verspätung darauf zurück, dass „in einer der reichsten Nationen der Welt… nach wie vor die Vermögenssteuer und die Erbschaftssteuer keine Umverteilung von Reichtum z. B. in den öffentlichen Nahverkehr ermöglicht haben.“ Wie es um die Qualität von Schiene und Straße in Ländern bestellt ist, in denen fast alle Vermögenswerte im Volkseigentum sind und damit jede Motivation zu Spitzenleistungen obsolet ist, hat der 1986 geborene Dramatiker im Vorwende-Sachsen, -Mecklenburg-Vorpommern oder -Thüringen nicht mehr erleben können, aber Reisen bildet diesbezüglich auch heute noch.

Jedenfalls kommt Köck wie schon in manchem seiner früheren Stücke von Hölzken auf Stöcksken, heißt diesmal von der Südsee in den Weltraum und von der HMS Resolution und ihrem Begleitschiff Adventure über Bahn und Eigentumswohnung ins Raumschiff eines dystopischen Science-Fiction-Zeitalters, von der spuckenden Vulkaninsel über die Immobilienmaklerin zum platzenden Planeten. In der dystopischen Zukunft werden Erinnerungen an den ersten Weltreisenden der Geschichte und an das Anfang des 11. Jahrhunderts als erstes in Amerika geborene Kind europäischer Abstammung, an Snorri Thorfinnson, diskutiert, was weit hergeholt sein mag, aber lose mit frühem mittelalterlichem Imperialismus zusammenhängt. Ganz nebenbei findet Köck auch noch die Zeit, um seinen Abenteuern leichthändig eine Prise mal ernst gemeintes, mal ironisches Emanzipations-Theater oder ein paar ebenso zwischen Ernst und Ironie mäandernde Theorie-Schnipsel unterzumischen. Gerade Letzteres ist nicht ohne Risiko, doch ein spielfreudiges Ensemble treibt dem Auftragswerk für das Kölner Schauspiel die manchen Text-Passagen immanente Sachbuchorientierung aus.

Köcks Auftragswerk thematisiert in mehreren Akten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft den verantwortungslosen Umgang des Menschen mit dem, was er als sein Eigentum betrachtet. Käpt’n Jonas, wenn nicht alles täuscht im ersten Teil von der Matrosin Melanie Kretschmann und im letzten von Alexander Angeletta jeweils mit einer gelungenen Mischung aus Pathos und ironischer Distanz gespielt, hat dankenswerterweise über die Jahrhunderte ein Tagebuch geschrieben, das theoretisch einen roten Faden bieten könnte. „Eigentum“, so diagnostiziert Köck, führt den Menschen nicht zur Glückseligkeit, sondern an den Rand der Auslöschung: „- let’s face it we’re fucked“, we are „on the brink of extinction.“ (Selten haben wir in einem Text mehr Denglisch um die Ohren gehauen bekommen, was zwar meistens unnötig, aber witzig ist.) Und auch wenn fast nur in Form einer Mauerschau erzählt wird, setzen sich gerade im ersten Teil im Kopf des Zuschauers Bilder vom Abenteuer Seefahrt und im dritten Teil vom Abenteuer Weltraum zusammen: Dort, im Weltraum, sind die letzten Menschen der Erdbevölkerung unterwegs, nehmen ein allein im All umherirrendes Kind auf und blicken auf die unbewohnbar gewordene Erde, die sie einmal als ihr Eigentum betrachteten: „Tolle Bilder“, sagt Astronautin Katreus (Florence Adjidome) zu den Explosionen, die sie aus den Fenstern des Raumschiffs und wir auf den Videos von Camille Lacadée betrachten, und wir können ihr nur recht geben. Im fünften und letzten Teil schließlich sind die Menschen endgültig ausgestorben respektive in Cyborgs verwandelt. Wenn man sie ordentlich anbohrt, fließt ihnen das Öl aus den Adern, oder es findet sich ein Kabel, mit der man den Motor des havarierten Raumschiffs wieder anwerfen kann…

Der zweite Teil, auf den im vierten noch einmal rekurriert wird, ist dem heutigen Theaterzuschauer vermutlich inhaltlich am nächsten und war ursprünglich als Kern des Stückes geplant: Es geht um heftig umkämpftes Wohnungseigentum; der Verdrängungswettbewerb führt im vierten Teil gar zu einem apokalyptisch geschilderten Krieg. Nachdem laut Selbstauskunft des Autors in dessen Kopf aber bei der Konzeption dieses Teils der Geschichte „etwas explodiert“ ist, dient er vor allem als Nukleus des gelungenen und vielfältig genutzten Bühnenbildes. Ein variabel verschiebbares, mehrstöckiges Gerüst kann zum Mehrfamilienhaus, aber auch zur Weltraumstation und zum Raumschiff werden. Vorerst werden die zahlreichen Wohnungen, die wir uns in dem Quader vergegenwärtigen mögen, zu Objekten der Begierde zahlreicher Kauf-Interessenten, unter denen der finanziell risikofreudige Jonas und seine deutlich seriösere, zur Vorsicht neigende Gattin im Fokus stehen. Eine Maklerin versucht, das Objekt an einen Eigentümer zu bringen, in dem Treppen zu einem dubiosen, nicht enthüllten „Wein“-Keller führen - a cellar with 900 windows where there’s a shoulder where death comes to cry? - Der Maklerin Katharina Schmalenberg schlackert ihr Eigentum von unzähligen Handtaschen an glitzernden Goldkettchen um die Hüften. Später, wenn Schüsse fallen, Stahlträger sich von den Decken lösen, Tote aus dem oberen Stockwerk fliegen und aus den aufgesprengten Wänden immer mehr Menschen quillen, weiß die Maklerin immer noch zu überzeugen: „Auch Uhren und Räume überdauern den Tod.“ Man denke an die Erben: „Die Schönheit des Hauses ist unermesslich.“

So läuft das bei Thomas Köck: Sein Text mäandert zwischen Banalitäten, sachbuchartigem Informationsgehalt und großartigen absurden Passagen. Das ist eine Herausforderung für die Regie, aber Marie Bues kann auf beste Köck-Erfahrungen zurückgreifen. Dank ihrer tollen Einrichtung gewann Köck zum Beispiel im Jahre 2018 für „paradies spielen (abendland, ein abgesang)“ (siehe theater:pur-Rezension hier) den Mülheimer Dramatikerpreis. Köck schreibt hochaktuelle Stücke, deren vielfältige Anspielungen entschlüsselt werden und deren chaotische Sprünge einen adäquaten Umgang finden wollen - und Bues ist Spezialistin für die Inszenierung zeitgenössischer Stoffe von komplex denkenden und schreibenden Autorinnen und Autoren, denen sie mit ihrem ungebremsten, überbordenden, Einfallsreichtum über die Klippen hilft. Das gelingt auch diesmal - nicht immer, aber doch in vielen Passagen. Dennoch hinterlässt die Aufführung offenbar große Teile des Publikums ratlos.

Dabei muss man sich nur zurücklehnen und genießen (und die schwächeren Momente für ein kleines Nickerchen nutzen). Die Science-Fiction-Passagen und die Blicke in die historische Vergangenheit sind schräg und werden vom Regie-Team auch so inszeniert: mit merkwürdigen Typen, bescheuerten Science-Fiction-Kostümen und gelungenen Choreografien. Es gibt Cyborgs und Riesen-Babys, Matrosinnen, die sich zu seefahrerischen männlichen Abenteurern entwickeln, suggestiv vorgetragene Mauerschauen und einen Chor wie aus einem Fernsehballett. Das sind Elemente einer Komödie, die Köck ja eigentlich auch schreiben wollte, und die machen tatsächlich einen Riesen-Spaß. Komödiantisch ist das Stück trotzdem nicht geworden. Es ist bitterböse und zutiefst pessimistisch. Das Tohuwabohu auf dem Spielfeld ist in seinen besten Momenten durchaus witzig, aber die bittere Botschaft kommt an.