Eine Tragikomödie über Alleinerziehende
Im Spielplan des Bielefelder Theaters dreht es sich in Oper und Schauspiel in dieser Saison geballt um die Stellung und Beachtung, genauer gesagt Nichtbeachtung der Frau. Also wird Carmen (Premiere 30. 9. 23) nicht als Folklorestück inszeniert, sondern als ihr Versuch der Emanzipation. Und auch die Adaption „else(someone)“ von Carina Sophie Eberle nach Arthur Schnitzler (Premiere 8. 9. 23 im TAM) bietet nicht den Glamour Wiens vor dem Ersten Weltkrieg. Dem Lüstling, der sich seine Sehnsüchte erfüllt, weil er es kann und so jugendliches Selbstbewusstsein bricht, wird im Stück eine Mädchengruppe gegenübergestellt, die Else zu stützen versucht.
Nun kam im TAM in Bielefeld Die Alleinunterhalterin von Anna Lena Schulte als Auftragsarbeit zur Uraufführung. Schon der Titel ist ein Wortspiel, denn um Unterhaltung im Sinne von z. B. leichter Unterhaltung geht es der Protagonistin Anja (Carmen Priego) weiß Gott nicht. Sie muss zusehen, wie sie ihre drei Kinder Juni (Gesa Schermuly), Juli (Fabienne-Deniz Hammer) und August (Lukas Graser) sowie den Hund Ohleander/Olli (Georg Böhm) durchbringt. Juni und Juli sind erheblich älter als August, der im Strampler und Buggy daherkommt. Juni, die jüngere der beiden Mädchen, ist vor allem am Handy tätig, wenn sie sich nicht gerade um ihr Make-up kümmert. Das wiederum pflegt sie, weil sie sich einerseits als Influencerin betätigt und andererseits in einen Kerl verliebt ist, dem sie allerdings ziemlich gleichgültig ist. Aber dichten kann er, findet Juni: „Du bist die Luft in meiner Luftmatratze“ schreibt sie in der Küche an die Wand. Die Küche ist Julis Labor für ihre chemischen Versuche. Mit Bunsenbrenner und chemischen Formeln im Laptop träumt sie von einem umweltfreundlich hergestellten Kunststoff, dessen Formel ihr und damit der Familie viel Geld einbringen soll. August ist mal lieb wie ein Baby, mal launisch wie ein Baby und wäre gern immer Mittelpunkt der Familie. Manchmal klappt das sogar. Aber er hat schon gewonnen, wenn er im Strampler an der Hand der Mutter auf die Bühne kommt.
Ein Pluspunkt dieser Inszenierung von Schauspieldirektor Dariusch Yazdkhasti ist, die Kinder von Erwachsenen spielen zu lassen. Lustvoll versenken sie sich in ihre Rollen. Ebenso hat der Hund von Anfang an gewonnen, denn Tier, das ist ja bekannt, geht immer. Olli ist so etwas wie der Dolmetscher für das Publikum, denn er als Hütehund weiß alles, kennt alles und behält den Überblick. Das ist nicht immer ganz einfach. Denn die gewesene Schauspielerin Anja hat eine Job als Trauerrednerin und bekommt eines Tages einen Anruf aus Hollywood. Man habe ihre Website gesehen und möchte sie als „Jane Bond“ engagieren... Aber da kommen natürlich immer wieder die kleinen und großen Katastrophen des Alltags dazwischen. Juni ist selten ansprechbar, Juli hat immer mit ihrem Computer zu tun und August passt mal dies nicht, mal das nicht. Da fliegen dann schon mal die Essensreste durch die Wohnung. Die ist übrigens überschaubar klein und dementsprechend schnell zugemüllt und unübersichtlich. In all dem muss sich Anja zurechtfinden und das gelingt ihr bestens. Die Rolle ist Carmen Priego auf den Leib geschrieben worden. In den kleinen Katastrophen wie in den großen Träumen überzeugt sie. Natürlich, Hollywood - das wäre das Größte. Aber bis dahin kümmert sie sich um ihre Kinder und ihre Trauerreden. Vor allem Juli gibt da doch viel zu denken. Neben ihrem chemischen Versuchstraum bemüht sie sich um Praktisches. Weil doch die bösartige Nachbarin (Rosalia Warnke) geunkt hat, die Mutter werde bald Flaschen sammeln müssen, versucht die Tochter schon mal Flaschen aufzutreiben. Dumm nur, dass ihre Lehrerin (Rosalia Warnke) feststellt, dass die Bierkisten samt der Sackkarre aus ihrer Garage stammen... Eher unpraktisch ist freilich, dass Juli mit ihrem Traum die Küche vernichtet... Natürlich kommt die Erzieherin vom Jugendamt (Rosalia Warnke), um nach dem Rechten zu sehen. Und irgendwann taucht dann auch einmal kurz der Ex auf, der sich nur für August interessiert und die Nöte seiner Hinterbliebenen gar nicht wahrnehmen will. Ein Architekt im siebten Bauhimmel.
Anna Lena Schulte hat das muntere, gelegentlich verwirrende Treiben auf der Bühne aus Interviews mit alleinerziehenden Frauen in Bielefeld und Berlin zusammengeschrieben. Es sollte, so die erklärte und gelungene Absicht, kein Problemstück werden. Denn bei aller Problematik und Beschwernis alleinerziehenden Lebens wollte sie auch die durchaus vorhandenen Glücksmomente nicht verhehlen. Und die kleinen Katastrophen gehen hier zumindest gut aus. Aber das Publikum wird nicht mit dem Gefühl des guten Ausgangs entlassen, Anjas Sorgen und Nöte bleiben. Die rundum gelungene Inszenierung wurde mit viel verdientem Beifall bedacht.