Ein Märchen, das wahrer ist als manche Geschichte
Vor dem rotsamtenen Vorhang schwingen sich ein Narr und eine Närrin aufs Proszenium. Sie spielt eine Luftgeige, deren Ton wohlklingend aus dem Hintergrund schallt, und wirkt dabei wohlgemut und entschlossen, er hingegen noch zögerlich und ängstlich. Doch dann erklären sich beide „bereit für eine Geschichte; ein Märchen, das wahrer ist als manche Geschichte“. Bereit, uns in ihren clownesken, rotgrünen Kostümen durch die Geschichte von Einem, der den Teufel nicht fürchtet, zu begleiten.
Doch dann wird es gruselig: es gewittert und neben einem umgestürzten Baum liegen im Halbdunkel drei Gestalten wie tot. Daneben wird langsam vor riesigen Flügeln eine hockende Figur im knallroten Wams erkennbar, nur die kleinen Hörner auf dem Kopf lassen darin den Teufel vermuten. Singend und plaudernd freut er sich an Rätseln, die er den Menschen aufgibt: an einem Baum, der keine goldenen Früchte mehr trägt, einem Brunnen, der weder Wein noch Wasser spendet und einem Fährmann, der nie abgelöst wurde. Währenddessen schwebt des Teufels Großmutter als hübsche junge Frau im bodenlangen leuchtendroten Mantel aus dem Bühnenhimmel herab. Sie weist ihn zurecht und wir ahnen es: Sie gehört zu den Guten.
Inzwischen erhebt sich einer der Totgeglaubten und die Närrin klärt uns auf, dass dieser Knecht ein Als-Glückskind-Geborener ist. Strahlendnaiv und mit umwerfendem Selbstvertrauen gibt Thomas Kitsche dieses inzwischen groß gewordene Glückskind, das bei den Brüdern Grimm in einer Glückshaut geboren wird. Da prophezeit man ihm auch schon bei der Geburt die Hochzeit mit der Königstochter. Davon erfährt der König, luchst der Mutter das Kind ab, wirft es in einer Kiste ins Wasser, woraus es von einem guten Müllerspaar gerettet wird. Bei F. K. Waechter im Bühnenstück, das der phantastischen Inszenierung von André Kaczmarczyk im Düsseldorfer Schauspielhaus zugrunde liegt, begegnet der König dem Glückskind-Knecht erst als jungem Soldaten, und die Zuneigung von Knecht und Königstochter ist schlichtweg Liebe auf den ersten Blick.
Herrlich albern, kitschig kostümiert von Martina Lebert tritt der Hofstaat auf, während die Königstochter (temperamentvoll gegeben von Jule Schuck) mit üppigem roten Wuschelhaar und buntem Flatterrock nicht nur die Herzen des jungen Publikums gewinnt. Eins ist klar: den affigen Baron Ziegenbart, den ihr Vater für sie ausgesucht hat, wird sie nicht nehmen. Beide mag sie nicht: „Alles wegen der Staatsgeschäfte. Mein Vater hat so ein böses Herz.“
Doch der Weg zum Glück ist noch weit und Kaczmarczyk findet noch schaurig-schöne Bilder für die Hindernisse, die dem Glückskind in den Weg gelegt werden. Da ist zunächst das grandiose Räuberquartier, in dem eine Phantasiesprache gesprochen wird und wenn man auch kein Wort versteht, eins ist klar: das sind Gute, die „den Reichen nehmen und den Armen geben“. Wenn dann nach einem langen Geschwafel einer der Räuber mit dem Ausruf endet: „Kappja intschi Kacka! Uughi!“ und alle Räuber in lautes Lachen ausbrechen, lacht das Publikum einfach mit. Nach dieser Szene fasst unser Protagonist seine Situation zusammen: „Am Morgen war ich noch ein toter Bauernlump, dann ein Soldat, jetzt soll ich für den König einen Brief aufs Schloss bringen“. (Da weiß er allerdings nicht, dass die Räuber aus dem bösen einen guten Brief machten.) „Und am Abend heirate ich vielleicht die Königstochter“. Doch davor muss er noch in die Hölle, denn der bösherzige König (überzeugend: Rainer Philippi) verlangt bei Waechter drei goldene Haare des Teufels vor der Hochzeit (bei den Brüdern Grimm erst danach) und Kaczmarczyk macht aus der Höllenszene gleichsam ein Stück im Stück mit Tanz, Gesang, wechselnd zwischen Versen und Prosatext, die Figuren im Flugsitz, die Bühne auf- und abfahrend. Gleichermaßen faszinierend sind die bizarren Tanzeinlagen von Eduard Lind als armer Teufel (in denen man den Regisseur wiederzuerkennen glaubt), wie die herrlich raffinierten Finten der Natalie Hanslik als schlaue Teufels-Großmutter. Sie entlockt dem Teufel geschickt die Rätsel-Lösungen: warum der Baum verdorrte, der Brunnen versiegte und der Fährmann nicht abgelöst wurde. Ihnen allen kann unser Glückskind am Ende die Lösungen ihrer Probleme bringen. Schelmisch, wie er immer wieder aus den Rockfalten der Großmutter herauslugt und sich an der Einfalt des Teufels freut (denn bei Waechter/Karczmarczyk braucht er sich nicht in eine Ameise verwandeln zu lassen wie im ursprünglichen Märchen).
Zum Schluss das Happyend und die ermutigende Frage, ob wir nicht vielleicht alle als Glückskinder geboren sind. Begeisterter Applaus.