Übrigens …

Vor aller Augen im Theater Duisburg

Der Maler und sein Modell

Ihre Namen sind etwas für Experten. Oder wer von Ihnen kennt all diese schon häufig bewunderten Damen: Constance Quéniaux, Hendrickje Stoffels, Augustine Roulin, Fränzi Fehrmann? Valentine Godé-Darel, Cecilia Gallerani und Maria Vermeer? Die letzte in dieser Aufzählung gives a clue; Mme. Godé-Dorel vielleicht auch, taucht sie doch als bettlägerige ältere Lady im Titel manches Bildes von Ferdinand Hodler auf. Die Damen saßen, standen und lagen samt und sonders Modell für große Maler, für Rembrandt, Leonardo da Vinci und Courbet, für van Gogh und Vermeer, für den miesepetrigen Schweizer Hodler und die lebenslustigen Hedonisten der Brücke-Künstler. So wie die Künstler von unterschiedlichstem Temperament waren, repräsentierten auch die genannten Frauen die verschiedensten Typen und Charaktere. Da stehen die kultivierte, sterbenskranke Geliebte Hodlers und die gebildete Denkerin und Poetin Gallerani neben der libertinären, freizügigen Tänzerin und Kurtisane Quéniaux; da ist das unschuldige, aber möglicherweise erotische Begehrlichkeiten entfachende Child Model Fränzi neben der runden Postbotengattin Augustine - und da ist die pragmatische, handfeste und sich ihres Wertes bewusste Mevrouw Stoffels, die irgendwann von der Haushälterin zur Lebensgefährtin des Herrn Harmenszoon van Rijn wird. Was hätte der große Rembrandt bloß ohne sie gemacht? „Der kann nur malen, saufen und vögeln“, spottet Hendrickje, „aber Geld? Geld kann der nicht.“

Sperrholzkisten unterschiedlichsten Formats, Kunstkisten sozusagen, auf denen man noch den Aufkleber eines der bedeutendsten Kunsttransport-Unternehmens entdeckt, stehen auf der Bühne im Foyer III des Theaters Duisburg herum. Der Posaunist Henning Nierstenhöfer tauscht sein Instrument mit einem Universalbohrer, und prompt entsteigt einer dieser Kisten die Protagonistin und Koproduzentin dieses Abends als „Dame mit dem Hermelin“. Das weiße Wiesel-Vieh trägt Friederike Becht im Arm, wie ihr Vorbild auf dem berühmten Gemälde des Leonardo da Vinci, der damit auf den Spitznamen des Fürsten Ludovico Sforza anspielte. Die von Becht dargestellte Cecilia Gallerani war dessen Mätresse. Als Dame aus gutem Hause lässt sie sich ihr Selbstbewusstsein und ihre Souveränität nicht nehmen, auch wenn Ludovico sie drei Jahre nach Entstehung des Bildes zugunsten von Beatrice d’Este abservierte: Ihr Intellekt und der ihr zum Ausgleich zugestandene Palazzo Carmagnola sollten ihr über den Verlust des Fürsten hinweggeholfen haben - Verletzungen aber bleiben zurück: Aufgrund ihres Geschlechts hatte die elegante, literarisch und philosophisch gebildete Gallerani keine Chance, im Langfrist-Gedächtnis der Welt zu überdauern: „Bei mir steht nur noch das Äußere zur Debatte“, klagt sie. Sie „habe an Kolorit verloren“, gesteht sie: „Ich wurde nachgebessert.“ Das hatte die echte Signora Gallerani wohl kaum nötig.

Gleich diese erste Episode vereint die Motive des hübschen, brillant gespielten kleinen Theaterabends. Martina Clavadetschers manchmal etwas bieder und altmodisch daherkommender Text holt die dargestellten Frauen einfühlsam, aber nicht rabiat ins Heute. Er hinterfragt die Rolle der Frau in der Kunst, weist auf die mangelnde Gleichberechtigung hin, zeigt aber andererseits auch die machtvolle Position und gelassene Haltung vieler dieser Damen auf, deren starke Performance für ihre Schöpfer häufig spielentscheidend war.

Angeschaut zu werden wie ein kostbares Möbelstück, als Teil der Folklore oder als erotisches Motiv - das war die Rolle der Maler-Modelle. Vielleicht gar als verbotenes Lustobjekt? Was haben die „Brücke“-Maler, was haben Ernst Ludwig Kirchner und vor allem Erich Heckel mit ihren Kindermodellen getrieben? Und wer war Marcella? Die Freundin der zehnjährigen Lina Franziska (Fränzi) Fehrmann oder ihr Alter Ego? Nichts Genaues weiß man nicht, und Friederike Becht, äußerst wandlungsfähig in dieser Szene, lässt es in der Schwebe. „Eines Tages wird vielleicht… ans Licht kommen, wie es wirklich war.“ Wir erinnern uns an die großartigen Fränzi- und Marzella-Bilder von Kirchner, Heckel und Pechstein, die Mädchen im gelbschwarzen Trikot, aber auch die unbekleideten Kinder: „Auch Marcella passte manchmal nicht auf, und sie blieb dann allein mit einem von ihnen“, insinuiert Clavadetschers Text doch recht deutlich den möglichen Missbrauch.

Übergriffig mögen auch die zahlreichen Bilder von Frau Godé-Dorel in ihrer Hinfälligkeit gewesen sein, die von Friederike Becht als sanfte Leidende, aber auch Liebende portraitiert wird. Nicht ohne Ironie hat das „Deutsche Ärzteblatt“ wegen des immergleichen Motivs einmal von „künstlerischer Sterbebegleitung“ gesprochen. Die Motive dieses Stücks könnte man zu einem aggressiven feministischen Theaterabend zusammenschnüren, aber glücklicherweise widerstehen die Autorin, der Regisseur und die Schauspielerin dieser Versuchung. Nicht unkritisch, aber mit dem Wissen um die anders gearteten Bedingungen ihrer Zeit betrachten sie die Vorgänge um die Maler und ihre Modelle - nicht ideologisch also, sondern mit Gespür und Geschichtsbewusstsein. Sie wissen, dass es nicht nur Opfer gab, sondern auch Frauen, die sich mit den Diskriminierungen ihrer Zeit zu arrangieren wussten und das Heft des Handelns in die Hand nahmen. Frauen wie Hendrickje Stoffels - oder auch wie Maria Vermeer, die die Kostümbildnerin Rosa Wallbrecher als „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ ausgestattet hat. Das berühmte Gemälde des Jan Vermeer van Delft wird auch zu einem der schönsten Bilder der Duisburger Aufführung. Kein Wunder: Des Malers junge, irgendwie charismatische Tochter mit dem etwas zu flachen Gesicht und den leichten Glupschaugen nahm den Pinsel selbst in die Hand und soll die Urheberin so mancher der unter dem Namen ihres Vaters teuer verkauften Werke gewesen sein. Becht kopiert die berühmt gewordene Haltung der jungen Frau perfekt, aber ihr Gesicht ist weder flach noch glupschäugig: Ihr Körper und ihr Geist sind beweglich, ihr Lächeln ist kokett: Wüsste man, dass in der Familie Vermeer noch jemand malte, würde der Marktwert der Bilder rapide sinken, weiß sie. Wenn Frauen als Künstlerinnen keine Anerkennung fanden, mussten sie halt unter dem Codenamen der Männer produzieren. Maria Vermeer hat das mutmaßlich mit klammheimlicher Freude getan.

Andere Frauen setzten sich aus eigenem Antrieb über die Prüderie der Gesellschaft hinweg: Constance Quéniaux zum Beispiel, Modell für das skandalumwitterte Gemälde „L’origine du monde“ von Gustave Courbet, das erst im Jahre 1988 (122 Jahre nach seiner Entstehung) erstmals öffentlich gezeigt werden durfte. „Wer entscheidet, was den Augen zumutbar ist?“, fragt Becht als Quéniaux. - Sicher ganz anders drauf war Augustine Roulin, die Vincent van Gogh mehrfach portraitierte: bodenständig und einfach, mit dem Herz am rechten Fleck und der Uniformjacke ihres „Joseph in seiner Entenpost“ vor der Blümchen-Tapete. Becht zeigt die Guste als Frau aus dem Volk, die über eine gute Beobachtungsgabe verfügt. Zu den Männern hat sie eine überlegene Distanz: Der eine sitzt in der Paketausgabe in Arles und genügt den Ansprüchen einer Frau sicher nur knapp, der andere pflegt eine merkwürdige Künstlerfreundschaft mit dem unsteten, bitterarmen Kollegen Paul Gauguin. Guste sitzt gern Modell, so hat es den Anschein.

Mit großer Variabilität erweckt Friederike Becht all diese die Damen zum Leben, repräsentiert sie mal kokett, mal elegant, mal fröhlich und unbekümmert. Die unbekannten, heute noch vor aller Augen sichtbaren Modelle der allen Ruhm einheimsenden, aber unsichtbaren Künstler bekommen eine Stimme. Sie stellten ihr Licht unter den Scheffel, aber viele von ihnen lenkten die Jungs, denen sie Modell saßen, souverän vom Beifahrersitz aus. Manchem von uns mag das auch heute noch bekannt vorkommen…