Kolonialismus, Klimakrise und Künstliche Intelligenz
Schattenmeier ist eine Filmmacherin, der das gelingt, wovon Menschen träumen - eine Zeitreise zu machen. Auf den Marschallinseln will sie dauerhafte Zerstörung durch die US-amerikanischen Atomversuche auf dem Atoll trotz trügerischer Traumkulisse dokumentieren. Doch diese Versuche stellen sich als Konsequenz der kolonialen Geschichte heraus, deren Auswirkungen bis heute zu spüren sind.
Kevin Rittberger greift in seinem Werk Zwei Sonnen und ein Untergang zum Mittel der Zeitreise, weil er so Konnotationen herstellen kann zwischen Kolonialismus und der Zerstörung der Umwelt durch Atomkraft einer- und der Klimakrise andererseits herstellen kann. Am Rande geht es auch noch um Chancen und Gefahren der Künstlichen Intelligenz. Gewichtige Probleme also, die Rittberger in einer Stunde und fünfundvierzig Minuten verhandelt. Doch der Autor macht es seinem Publikum leicht, sich auf den gewichtigen Themenkomplex einzulassen und ihm zu folgen. Zum einen kehrt er immer wieder ins Jahr 2023 zurück, in dem Schattenmeiers Kollegen Bülent und Steffi mit „ganz normalem“ Lebenswahnsinn zu kämpfen haben, der unmittelbar mitnimmt. Zum anderen ist sein Text mit alltäglich benutzten Floskeln angereichert, die ganz gezielt Entspannung kreieren und auch prompt Lacher im Publikum hervorrufen. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass Rittberger sehr artifiziell schreibt und viele seiner Formulierungen stilles Vergnügen bereiten. Trotz des Autors Kunst stellen sich im Verlauf einige Längen ein: die gesetzten Themen werden nicht mehr durch neue Aspekte inhaltlich erweitert, sondern drehen sich bisweilen im Kreise.
Auf Patrick Loibls Bühne steht eine Tankstelle im Mittelpunkt als Symbol einer Zivilisation, die es auf den Marschallinseln nicht mehr gibt und aufgrund des steigenden Meeresspiegels auch nicht mehr geben wird. Antonia Matschnig untermalt oder übertönt auch mal das Geschehen mit Musik, die vor allem auf die Wirkung ausgeklügelt differenzierten Umgangs mit Lautstärke setzt.
Matthias Köhler setzt Zwei Sonnen und ein Untergang mit einer gelungenen Mischung aus Innehalten und Tempo in Szene. Das macht die Gravität der verhandelten Themenkomplexe ein wenig leichter und diese sind besser zu verinnerlichen. Die Kunstpausen nach dem einen oder anderen „Joke“, die zu erwartendes Gelächter offenbar einkalkulieren, sind bisweilen aber recht üppig bemessen.
Überbringer des dichten Textes ist das Ensemble auf der Bühne. Das bewältigt diese Aufgabe mit viel Engagement. Nichts wirkt künstlich oder aufgesetzt. Allen „quellen“ Rittbergers Gedanken heraus, als seien sie ihr Inneres. Agnes Lampkin als Nachfahrin der Ureinwohner, die Salz streut in die ihrem Volk zugefügten Wunden ebenso wie Clara Kroneck als zeitreisende Katastrophenreporterin.
Pascal Riedel ist ihr Redaktionskollege, der heutigen Work-flow ebenso im Griff hat wie die Work-life-Balance. Das gelingt Bülent, der in Schattenmeier verliebt ist, nicht so ganz. Er kann sich nicht hinter inhaltslosen Floskeln verstecken. Alaaeldin Dyab ist Bülent, den man einfach nur gern haben kann. Ansgar Sauren ist die KI, die größtenteils wie eine niedlich plappende „Alexa“ oder „Siri“ daherkommt. Doch wenn Schattenmeier mit der KI zu verschmelzen scheint, strahlt Sauren durch pure Körperlichkeit die Gefahren aus, die auf die Menschheit zukommen werden und erzeugt Momente echten Grusels. Außerdem ist er der riesige Blaufußtölpel: der erste und wahrscheinlich auch letzte Bewohner der Marschallinseln.
Zwei Sonnen und ein Untergang will sensibel machen für Zusammenhänge von Kolonialismus und Klimakrise. Das gelingt Kevin Rittberger gut, in dem er Typen auf die Bühne stellt, die Blickwinkel darauf darstellen. Ein Schritt in Richtung Reflexion durch einen gebrochenen, sich entwickelnden Charakter allerdings hätte gut getan.